Mir ergeht es in meiner gegenwärtigen RR-Einstiegsphase immer auch ein bißchen wie dem TE. Und auch, wenn sich die Leistungs- und Personendaten nicht vergleichen lassen, entdecke ich gewisse Parallelen.
Das Problem ist doch sehr vielschichtig: Ich habe beispielsweise windkanaloptimierte "schnelle Kleidungsstücke" an, das tempogerecht designte Fahrrad unter mir, den grenzdebilen Bell-
Helm mit seinen aggressiven Luftlöchern und nach rückwärts stilisiert angedeutetem Kunststoff-Kometenschweif auf mir, dazu noch die rutschfeste und beschleunigunssichere Raserbrille vor mir, die ich bei keinem anderen Sport, geschweige denn im Liegestuhl auf der Terassse oder gar im Auto jemals aufsetzen würde, und bin zu allem Überfluss zwecks Optimierung der Kraftübertragung mit verwindungssteifen Panzerschuhsohlen an den Pedalen arrettiert. - Mit einem Wort also: Ich bin als angesehener, Bürger sowie als gestandener und im eben dreistelligen Gewichtsbereich angesiedelter Mann in den besten Jahren mit weitgehend unbescholtenem Leumund hart am Rande der Grenze zur Lächerlichkeit unterwegs.
Ich vermute, dass mein durchtrainierter 82jähriger Grundstücks-Nachbar, der MTB fährt, Leichtathletik-Übungsleiter ist und früher Schwimmtrainer war, den Beginn meiner Ausfahrten zu jeder Tageszeit von seinem Küchenfenster aus in der ganzen beschriebenen Pracht beobachtet. Immerhin:
Er hat sich (dank Sportsgeist alter Schule
) nie despektierlich geäußert, sondern ist voller Interesse für den noch immer überraschenden und neuen Anblick des Ganzen und erkundigt sich jeweils pünktlich am nächsten Tag nach den gefahrenen Routen und Zeiten. Er empfiehlt mir, das Bergtraining nicht zu vergessen und nicht bloß immer weiter, sondern auch mal sooft es mir eben möglich sei, den städtischen Hausberg hoch und runter zu fahren usw. Ich bin noch nie von ihm unbemerkt aus dem Hof gefahren...
Ich kann mich also immer auf die nächste Begegnung im voraus freuen:
"Ei, gude Morsche, Herr Hessenradler, warnse gestern widder unnerweechs geweese? Des is ja e Ding, was Sie da angefange hawwe, isch freu misch alsfort, wann isch Sie seh. Derf isch ihne ihr Rad emol hochheebe? Da, des dacht isch mer, des wiescht kaum ebbes. Ei, Sie war'n ja lang fort geweese gestern, wo sinnse dann hiegemacht? Ach so, do hinne naus, des is schon e schee Stück, wie warsn mim Wind, des is ja immer so e Sach. Die Straß geht ja immer gleich eruff und enunner, awwer es Wedder macht was es will, da hilft ja alles nix. Wenn Se's nächste Mol fahrn, guggese, dasse mehr westwärts komme, da fahr isch als vier, fünfma hinnernanner uff de Bersch enuff bis zu dem Türmsche und die anner Seit nunner, un unnerum üwwers Brüggelsche und widder nuff. Dann sinnse schnell fit, hahaha.")
So.
Und dann soll ich LANGSAM losfahren und mit meinen KRÄFTEN einsteigergerecht HAUSHALTEN?!
Ist mir leider psychologisch unmöglich. Alles an mir und dem Sportgerät, bis auf meinen Oberkörper, ist in dieser Situation auf Tempo hin konstruiert. Wenn ich dann schon in der Wohnumgebung damit rechnen muss, erkannt und identifiziert zu werden, ballere ich halt los, so schnell es geht. Und die ersten drei, vier Kilometer sind Geschwindigkeiten >30 km/h ja auch kein Problem. Je nach Wind- und Temperaturverhältnissen fehlen mir auf den letzten 12 der insgesamt 48 Alltags-Hausrunden-Kilometer dann die Kräfte. Aber das hilft ja nichts, man kann ja sich nicht per Hubschrauber ausfliegen lassen.
Gäbe es die letzten Viertel aller meiner Ausfahrten nicht, wäre mein Schnitt deutlich besser.