Ich denke, wir sollten da jetzt kein wissenschaftliches Symposium draus machen, und auch nicht einen wissenschaftskritischen oder -soziologischen Disput. Es war richtig, die Schwächen der wiss. Herleitung von Trainingskonzepten anzusprechen, weil es um die Gründe geht, die zu diesen Schwächen führen. Das sind nämlich grundsätzlich dieselben Gründe, die den einzelnen oder Trainer oder eine wie auch immer zu beschreibende "Gemeinschaft der Trainer" zu falschen Schlußfolgerungen und einer nicht optimalen Weiterentwicklung ihrer Praxis führen. Diese sind
- "Erfolg gibt dir Recht" kombiniert mit einer fast nicht entwickelten Risikobereitschaft: Kein halbwegs erfolgreicher Sportler, erst recht kein Spitzensportler wird über einen relevanten Zeitraum "was anderes probieren", wenn es das bis dato betriebene Training nicht unzweifelhaft zu einer schlechteren Erfolgsausbeute führt.
- Die Wirkung von "Neuerungen" kann niemals eindimensional gesehen werden – insbesondere wenn Veränderungen kampagnenartig von nationalen Verbänden betrieben werden, fließt auch Geld und das wird in unterschiedliche Vorhaben gesteckt. Hierzu gehört dann auch die medizinische und ernährungswissenschaftliche Betreuung, leider inklusive Doping.
- Gegenwärtig bedeutet in der Entwicklung der Trainingslehre wie auch in der sportlichen Entwicklung eines Athleten Stillstand Rückschritt. Insofern kann weder für das eine noch für das andere Leistungsrückgang als Indiz für eine Fehlentwicklung erwarten. Wer nicht besser wird, macht was falsch.
Im Ergebnis bedeutet das, daß weder radikale Veränderungen noch ein "Schrittchen-für-Schrittchen"-Vorgehen funktionieren kann. Wenn man daran glaubt, daß es funktioniert, sicherlich. Aber wirklich? Nie.
Wie verändern dann aber erfolgreiche Sportler ihr "Programm", außer, indem sie auf irgendeinen Trainer, auf den sie vertrauen, oder "Studien" oder selbsternannte "Experten" aus Foren hören? Und vor allem: Wie stellen sie fest, daß das Empfohlene "anschlägt", oder auch nicht?
Die Antwort ist mal wieder: indem sie ein Gefühl für die Veränderungen im Körper entwickeln und die Verbesserungen ihrer Konstitution nicht nur am Erfolg, sondern bereits vorher "am Gefühl" erkennen lernen. Das ist im Grunde ein deutlich verbessertes und erweitertes "Heute habe ich gute Beine, heute bin ich ganz vorne!"
Ist man entsprechend talentiert, entwickelt man das im Wesentlichen in 6 - 10 Jahren und ist mit 22 soweit damit fertig, daß man Erfolge auf dieser Weise "programmieren" kann. Im schlechtesten Fall hat man es gefunden, wenn man in Rente geht. Im allerschlimmsten Fall nie. Die gute Nachricht: Man merkt frühzeitig, wenn man dieses Gefühl nicht hat, behauptet, das gäbe es überhaupt nicht und vertraut fortan den digitalen Spielzeugen und den Trainingsempfehlungen, die die auswerfen.
Das nächste Element ist die Einbeziehung der Rennen in das Training. Auf TOP-Profi-Niveau wissen die Fahrer/Trainer/Umfeld, welche Rennen sich als Vorbereitung für welche Rennen eignen. Für die großen Rundfahrt ist sowas heute jedem Fan bekannt: Dauphine Libere für die Tour, Tirreno Adricatico für den Giro usw.
Rennen als Training zu betrachten ist ein Spezifikum des Radsports. Das hat verschiedene Gründe. Die beiden wichtigsten sind m.E.:
- In den meisten Ausdauersportarten ist eine Wettkampfdichte wie im Radsport nicht möglich. Das reduziert die potentielle Trainings- und Vorbereitungsfunktion bis zu einem Maß nahe Null.
- In kaum einer anderen Ausdauersportarten ist die Möglichkeit, die Wettkampfbelastung zu simulieren so gering wie im Radsport. Nun ist es so, daß Wettkampfbelastungen aus irgendeinem Grunde reizwirksamer sind, als jedes noch so ausgeklügelte Training. Ich kann nicht beurteilen, ob das bspw. beim Marathonlauf so ist, im Radsport ist das so.
Aus alldem – Überlegenheit des Wettkampfes als Training gegenüber dem eigentlichen Training sowie die Möglichkeit, dieses auch zu nutzen, weil es genug Wettkämpfe gibt und die Unmöglichkeit, Wettkampfbelastung im Training zu simulieren – folgt, das die Bedeutung "strukturierter" Trainingsmethoden sehr stark reduziert wird.
Um ein guter Amateur oder Kontinetal-Profi zu werden braucht man m.E. außer in der Vorbereitungsperiode überhaupt keine solchen ausgefeilten "Übungen".
Das Fazit für ambitionierte Hobbyisten und mittelmäßige Radrenner wie sie sich hier tummeln, ist einfach:
Lerne nach Gefühl zu trainieren, nutze die Rennen, nutze das Gruppentraining, fahr im Frühjahr, wenn du deine "Pflicht-Ausdauer-km" abgespult hast, ein paar Intervalle, beobachte deine Entwicklung am "Hausberg" und
achte vor allem auf ausreichend Regeneration.