AW: velo fahren ...
Konrad Paul Liessmann
DIE LETZTE KEHRE
Meditationen über das Fahren mit dem Straßenrennrad
Es gibt viele Arten sich mit einem Fahrrad fortzubewegen: langsam oder schnell, im Gelände, im Wald, in der Stadt. Es gibt auch viele Arten von Fahrrädern: City-Bikes, Trekking-Räder, alte Damen- und Waffenräder, Mountain-Bikes. Aber es gibt nur eine Art der Fortbewegung, die der platonischen Idee des Fahrrades so nahe kommt, dass die erfahrene Wirklichkeit zum exemplarischen Abbildes eines unvergänglichen Urbildes wird: das Fahren mit dem Rennrad.
Wohlgemerkt, es geht im Folgenden nicht um Sport, um Wettkampf, nicht um die Amateure, die ihre Runden drehen, nicht um die Profis, die über die Mattscheibe kurbeln. Es geht einzig und allein darum, einmal die Möglichkeiten und Grenzen einer Fortbewegung mit eigener Kraft in einer Kombination aus Effizienz und Eleganz auszuloten, die es überhaupt erst erlaubt, die Monotonie des Alltags zu unterbrechen und durch die Monotonie der Bewegung zu transzendieren. Das Rennrad ist dafür Mittel und Zweck in einem.
Natürlich kann man mit einem Rad fahren, um von A nach B zu gelangen; man kann mit einem Rad fahren, um einem Trend zu gehorchen; man kann mit einem Rad fahren, um etwas am Rücken oder in einer Seitentasche zu transportieren. Zu welchen Zweck man das Rad auch immer einsetzt - es wird dementsprechend aussehen und von seiner Nutzanwendung, wie alles in der Welt, deformiert sein. Alle Kunst aber, alles Schöne beginnt dort, wo jeder Zweck aufhört. Erst wenn das Fahrrad weder Transporthilfe noch Verkehrsmittel ist, erst wenn es ganz zu sich gekommen ist und bei sich sein kann, tritt es in einer Reinheit in Erscheinung, die auch nicht durch den Schweiß desjenigen getrübt werden kann, der sich seinen zweckfreien Imperativen überlässt. Und diese lauten: Gleiten, Klettern und: mit höchster Geschwindigkeit Hinabtauchen in die Tiefe des Seins […]
Gute Gedanken zum Radeln. Aus Smart Move, dem Buch zur Sammlung Embacher.