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Race Across Germany (RAG)

Ich dachte, dass sich das Feld nach ein paar hundert Kilometern entzerrt und man kaum noch andere Fahrer sieht. Aber fast bis zum Ende war um einen herum eigentlich immer was los. Fand ich gut.
 
Anbei auch von mir ein kleiner Bericht über mein RAG-Erlebnis:

Vorbereitung und Anreise

Ich bin sonst eher der Brevet-Fahrer, aber die Aussicht, einmal längs durch Deutschland zu fahren fand ich schon spannend. Dann hat mir letztes Jahr auch der Rennbericht von @KaGro über das Race across Germany gut gefallen und so kam es zur Entscheidung, das RAG dieses Jahr anzugehen. Rekorde waren nicht zu erwarten. Dafür spricht mein Trainingsstand und die Zugehörigkeit zur Altersklasse Ü60.

Das RAG geht bei einer maximalen Zeitvorgabe von 60 Stunden über 1.110 km und kann supported mit Begleitauto und Crew oder nonsupported gefahren werden. Ich wollte nonsupported fahren.

Die körperliche Vorbereitung war ok. Die letzten Wochen vor dem Rennen hatte ich jede Woche eine 200 km-Fahrt gemacht. Dann waren noch ein 400-er und ein 600-er Brevet dabei. Dazwischen pro Woche jeweils 2 – 3 Intervalleinheiten. Damit war die körperliche Fitness erst einmal gegeben.

Dann war die Frage der Logistik: Die Übernahme von Verpflegung durch Außenstehende ist für nonsupported-Fahrer nicht mehr erlaubt. Einkaufen kostet viel Zeit und in den abgelegenen Orten findet man nicht unbedingt einen Laden, der zu der Zeit offen hat, wo man da durchfährt. Ich hatte mich deshalb dafür entschieden, die Verpflegung im Wesentlichen über Packstationen zu organisieren. Vorteil zudem: meine präferierte ausschließlich flüssige Ernährung ergänzt mit Haribo-Colafläschchen kann umgesetzt werden. Malto sucht man ja in Supermärkten oder Tankstellen vergeblich.

Das Rad war durch die Vorbereitungsfahrten gut getestet worden. Nachdem ich beim 600-er Brevet Probleme mit der Härte der Reifen verspürte, hatte ich kurzfristig noch auf breitere Reifen und weniger Druck gesetzt (vorne 28, hinten 30). Beleuchtung erfolgte mit Akkulampen und Backup per Powerbank.

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Am Donnerstag erfolgte die Anreise von Würzburg nach Flensburg mit der Bahn. Je näher man an Flensburg rückte, umso höher war die Dichte von Rennrädern, die augenscheinlich für das RAG ausgerüstet waren. Bei Gesprächen mit anderen Fahrern war ich erstaunt über die Unbekümmertheit, mit der manche junge Menschen so ein Event angehen: ich spruch mit mehreren Teilnehmern, deren bislang längste Fahrt zwischen 200 und 300 km weit war. Da ist noch viel Luft bis 1.100 km…. Viele von diesen Fahrern sollten allerdings das Ziel nicht erreichen….

Donnerstag Abend war die Ausgabe der Startnummern und die ersten ca. 15 Fahrer gingen auch schon in das Rennen. Fahrer, die davon ausgehen, eine dritte Nacht zu fahren, hatten somit die Möglichkeit, früher zu starten. Ich trank erst einmal stilecht einen Spritz an der Ostsee und hatte anschließend noch einen großen Teller Pasta plus Nachtisch + Bier + Wein in einem netten Restaurant. Dann ging es gegen 23:00 Uhr zum Hotel und ins Bett.

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Ich habe den Vorteil, dass ich auch vor derartigen Events ohne Probleme schlafen kann, somit weckte mich erst das Smartphone um 5:15 Uhr. Es gab Frühstück auf dem Zimmer, dann rollte ich die paar Meter an den Start.

Natürlich hatte ich für diese Veranstaltung von meinem üblichen entspannten Brevet-Modus zum Renn- und Ehrgeiz-Modus gewechselt. In der Ü60-Altersklasse gab es 10 Starter. Da wollte ich einigermaßen ehrenvoll abschneiden.
 
RAG Start und Tag 1

Der Start begann um 07:00. Es starteten jeweils 1 bis Zwei Fahrer im 2-Minutenabstand. Die Damen und die ältesten Fahrer durften beginnen. Bei meiner Ü60-Altersklasse war ich natürlich auch ganz zu Beginn dabei. Somit hat man den Vorteil, dass man bei Erreichen der Planzeit von 60 Stunden noch vor der dritten Nacht in Garmisch sein sollte. Auf der anderen Seite hat man die mentale Herausforderung, dass nach einer gewissen Zeit die ganzen jungen Fahrer an einem vorbeischießen…

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Kurz nach 07:00 Uhr ging es für mich los und man kämpfte sich erst einmal über viele Ampeln hinweg aus Flensburg hinaus. Leider schoss bereits kurz nach Flensburg mein erster Ü60-Wettbewerber mit deutlich höherer Geschwindigkeit an mir vorbei. Den sehe ich erst in Garmisch wieder, war mein Gedanke dazu. Es ging über welliges Gelände nach Süden, am Anfang sah man auch immer wieder die Ostsee. Ansonsten viel Felder und kleine Dörfer. Überholt wurde ich in dieser Phase auch oft, leider auch von einigen meiner Altersklasse-Kollegen. Ich wurde dann erst einmal bis auf Position 7 von 10 durchgereicht. Das hatte ich mir so nicht vorgestellt. Ich wollte mich aber auch nicht verrückt machen lassen und war mir nicht sicher, ob nicht einige meiner Konkurrenten übermotiviert gestartet waren. Ich bliueb bei meinen geplanten Watt-Werten und gut war. Unterstützend für alle war ein stetiger mittelstarker Rückenwind. Der blieb fast die ganze Fahrt über der Freund aller Fahrer… Mit der Zeit fand ich auch einen guten Rhythmus und die Fahrt ging jetzt flott voran.

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Nach 250 km dann östlich von Hamburg die erste Nachverpflegung nach vorab geübtem Prozess: Packstation anfahren, Paket abholen, Malto-Pulver in Trinkflaschen anmixen, zusätzliche Malto-Päckchen in die Rahmentasche, Cola-Gummis in die Oberrohr-Tasche, Zusatzflasche austrinken, Paket wieder über Packstation zurücksenden. Wenn man das vorher geübt hat, geht es superschnell.

Dann ging es über Uelzen und viel Heidelandschaft weiter nach Süden. Ein Meisterstück gelang mir in einem kleinen Dorf, in dessen Friedhof ich meine Trinkflaschen aufgefüllt hatte: Ich ließ meinen Helm auf dem Friedhof liegen, fuhr ohne Helm los und merke dies erst nach knapp 5 km. Schon eine ordentliche Dummheit…. Also die 5 km zurück und den Helm wieder aufsammeln.

Bei Gifhorn wurde es bei km 390 dann langsam dunkel. Aus meiner Erfahrung bei Langstrecken-Fahrten wusste ich, dass ich die erste Nacht ohne Probleme durchfahren kann. Da ist so viel Adrenalin im Blut, dass ich nicht müde werde. Von Brevets und früheren langen Fahrten zum Arbeitsort bin ich das Fahren in der Nacht gewohnt. Ich mache das gerne, habe gute Beleuchtung und bin auch in unbekanntem Terrain akzeptabel schnell unterwegs.
 
RAG Tag 2 und 3

Gegen 1:00 Uhr wurde beim Stand von ca. 460 km der einzige besetzte Kontrollpunkt der Fahrt in Bilderlahe erreicht. Die Dorfbewohner veranstalten hier immer eine Party in einer Bushaltestelle und organisieren die Versorgung für die RAG-Fahrer. Dafür ist man um diese Zeit sehr dankbar. Ich trank einige Zusatzgläser Cola, nahm mein Versorgungspack auf und hielt mich nicht länger auf.

Im dritten Streckenabschnitt folgt dann mit dem Harz eine landschaftlich sehr schöne Gegend. Allerdings wird hier auch jede Steigung mitgenommen. Das Rennen hat hier über 140 km immerhin einen Durchschnitt von 1,8 % Steigung (der Ötztaler hat auch nur 2,4%). Da hat man schon zu Klettern. Als gegen Morgen ein (ersichtlich kleines) Regengebiet aufzog, entschied ich mich für die ca. 30 Minuten Regen einen Powernapp in einer Bushaltestelle zu machen. Dabei machte ich bei einem Blick auf den Tracker die sehr erfreuliche Entdeckung, dass ich durch die Nachtfahrt auf Platz 1 der Altersklasse Ü60 vorgerückt war.

Nach den 15 Minuten Powernapp ging es durch die zusätzliche Motivation, die Führung zu verteidigen schnell wieder flott voran. Ich dachte erst, dass die schnellen Fahrer vom Vortag mich gleich wieder eingeholt haben würden, aber so war es nicht. Ich konnte eine gute Geschwindigkeit halten und der Abstand nach hinten wurde eher größer.

So ging es den ganzen Tag hindurch weiter nach Süden, zunächst am Rande der Rhön entlang wo ich mich bei km 670 durch eine weitere Packstation versorgen ließ, dann durch Unterfranken, die Region in der ich wohne. Dort gab es in Ebenhausen noch eine nette Überraschung. Ein ehemaliger RAG-Teilnehmer wohnt direkt an der Strecke und hatte dort einen kleinen Unterstützungs-Stand aufgebaut. Sehr nette und engagierte Menschen dort. Zu dieser Zeit gab es erneut etwas Regen.

In Ansbach wurde bei km 860 die letzte Packstation erreicht, dann bruch die zweite Nacht an. Ich fuhr hier auf einer relativ stark befahrenen Straße in der Dunkelheit. Ich fühlte mich da nicht richtig wohl und wusste aus Erfahrung, dass ich eh keine zwei Nächte hintereinander durchfahren kann. Also entschied ich mich, 2 Stunden zu schlafen, um dann etwas später bei geringerem Verkehr durch die Nacht zu kommen. Der Abstand zum zweitschnellsten Fahrer betrug zu diesem Zeitpunkt geschätzte 50 km, das erschien mir ein gutes Polster. Zum Glück hatte ich mich dafür entschieden, einen Schlafsack mitzunehmen, somit konnte ich mich einfach ein paar Meter neben der Straße in ein Feld legen. Es war ziemlich kalt, aber der Daunenschlafsack hielt wunderbar warm und ich konnte 2 h sehr gut schlafen.

Beim Aufwachen allerdings der Schreck: Mein erster Verfolger hatte mich überholt und auch der zweite Verfolger war nicht mehr weit hinter mir. Ich packte schnell zusammen und versuchte, massiv Gas zu geben. Anfangs war es erst einmal schwierig, nach der Pause wieder einen Rhythmus zu finden, nach einer Warmlauf-Phase konnte der Körper aber die neue gewonnenen Kräfte mobilisieren und es ging ziemlich schnell durch die Nacht.

Gegen Morgen hatte ich bei km 930 an der vorletzten Time-Station Mauren knapp nördlich der Donau bereits wieder einen Vorsprung von ca. 1 Stunde. Die Donau wurde überquert und es ging in weitgehend ebenem Gelände an Augsburg vorbei zur letzten Time-Station Moorenweis kurz vor dem Ammersee. Ich mobilisierte auf dieser Strecke nochmals alle Kräfte und konnte meinen Vorsprung auf gut 1,5 Stunden ausbauen. Dort war mir klar, dass ich diesen ins Ziel fahren kann, wenn nicht noch etwas Dummes passiert.

Die letzten 80 km bis Garmisch waren dann zwar landschaftlich wunderschön, aber vom Fahren her eine fürchterliche Quälerei. Zu allem Überfluss wurde ich noch von einer Hummel ins Bein gestochen. Da ging nicht mehr viel und ich hatte Bedenken, dass meine Verfolger dies ausnutzen und mich noch abfangen könnten. Aber die waren genauso fertig wie ich.

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Nach knapp 54 Stunden bin ich in Garmisch ins Ziel gefahren und habe damit den Sieg in der Altersgruppe Ü60 erzielt. Ich bin damit sehr zufrieden, aber um der Überheblichkeit vorzubeugen: Der gesamtschnellste nonsupported Fahrer war knapp 37 Stunden unterwegs. Das ist schon noch eine andere Welt! Der ist aber halt auch 30 Jahre jünger….

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Im Ziel gab es dann viel Austausch mit den anderen Fahrern und endlich auch wieder etwas Festes zu Essen.

Die Organisation des Rennens ist gut. Vielen Dank hierfür an Dieter und Fritz. Von der Streckenwahl her waren für meinen Geschmack anteilig zu viele große und befahrene Straßen beinhaltet. Ich verstehe aber auch, dass es dafür nicht immer gute Alternativen gibt, wenn man die Streckenlänge nicht noch zusätzlich ausdehnen möchte.

Am Tag nach dem RAG war ich körperlich und mental total erschöpft. Ich war froh, dass ich noch einen Tag in Garmisch bleiben konnte.... Inzwischen ist mein Normalzustand wieder weitgehend erreicht. Ich war heute sogar schon wieder (sehr kurz) auf einem Rad gesessen :)
 
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