• Hallo Gast, wir suchen den Renner der Woche 🚴 - vielleicht hast du ein passendes Rennrad in deiner Garage? Alle Infos

Mit Einradanhänger durch die französischen Alpen

kaipi

Aktives Mitglied
Registriert
6 Juli 2006
Beiträge
295
Reaktionspunkte
284
Ort
Bremen
Erstmal hört es sich widersprüchlich oder auch etwas verrückt an: was soll ein schwer beladener Radanhänger an einem modernen, auf Geschwindigkeit ausgelegten Rennrad? Und selbst mache ich Rennradreisen am liebsten auch mit Minimalgepäck, so wie vor zwei Jahren, zwei Wochen von Venedig durch die Alpen und zurück bis nach Bremen mit 7 kg Gepäck tutto completo.

Aber warum nicht mal die Vorstellungskraft sprengen, Unvereinbares zusammenbringen und einen neuen Plan verfolgen: Radtour mit Freundin, Zelt und allem Geraffel, durch die französischen Alpen und mit meinem Rennrad.

Anreise von Bremen nach Genf mit der Bahn, dann durch die französischen Alpen bis ins Vercors und zurück nach Genf. Damit wir beide bei der sportlichen Herausforderung unseren Spaß haben, nehme ich den Großteil des Gepäcks. Das Rennrad muss es sein, da ich gerne die ein oder andere sportliche Solotour machen will, vielleicht Alpe d´Huez. Das geht nur mit einem Anhänger am Rennrad.

Nach ersten Recherchen ist mir klar, es muss ein Einradanhänger sein. Die Befestigung an den Ausfallenden fasziniert mich. Nur leider stellt sich heraus, dass die 3D-Ausfallenden an meinem aktuellen Alu-Rahmen nicht geeingnet sind. Im Internet finde ich nur Leute, die Anhänger am Stahlrenner fahren und das auch nur im Alltag, mit Kinderanhänger, oder zum Einkaufen. Fast schon durch Zufall stoße ich auf den Anhänger von Tout Terrain, der an der Sattelstütze befestigt wird. Nachteil ist der größere Schleppradius. Der Preis ist auch nicht ohne. Aber, wie der Schwabe sagt: i kann mir niggs billiggs leischde. Die Vorteile überzeugen mich letztlich:
- einfache Montage an fast jedem Rad
- bessere Krafteinleitung in den Rahmen (glaube ich zumindest)
- durch den eingebauten Ständer lässt sich der Anhänger auch unangekoppelt beladen, leicht abkoppeln, um auch mal ohne Anhänger einen Abstecher zu fahren, und keine Probleme, das Gespann abzustellen
- ich brauche nicht drüber nachdenken, ob ich eine Federung haben will, denn es git ihn nur mit

Meine Erfahrungen:

Ich belade das Teil mit einer Ortliebtasche, 89-Liter-Modell, prall gefüllt, zusammen 25 kg. Darauf hab ich noch einen Tagesrucksack gespannt, mit Regensachen drin oder auch Einkäufen, Gewicht schwankend, dann kam noch ab und zu eine 1,5-Liter-Wasserflasche dazu. Damit hatt ich das für Straßenfahrten zulässige Ladegewicht von 30 kg eher mehr als weniger ausgeschöpft. Ein Radschloss mit gut einem Kilo hing auch noch am Anhänger. (Die große Lenkertasche erwähne ich jetzt mal nicht.) Die Stellen, an denen der Ständer auf dem Boden steht, hab ich, um den Lack zu schonen, mit Resten alter Mäntel umwickelt und mit Kabelbinder befestigt. Ein solchen Impuls hatte der Hersteller leider nicht, oder irgendwie aus dem Blick verloren. Ich hatte damit auch ein Problem produziert. Wenn die Reifenteile verrutschen, dann hakt der Ständer nicht mehr korrekt in die Aufhängung ein. Meine Bastelarbeit lässt sich aber bestimmt verbessern.

Mein Rennrad, ein Canyon Ultimate AL, Rahmenset gerade erst gekauft, habe ich mit 10 Jahre alten Dura-Ace-Komponenten ausgestattet, dazu eine Ultegra-Kompaktkurbel, Kassette 11-34, XT-Schaltwerk (schaltet nur mäßig), Schutzblechen und Sattelstütze natürlich aus Aluminium.

Mit dem insgesamt rund 40 kg schweren Anhänger ist das Gespann erst mal gewöhnungsbedürftig. Schon in langsamer Fahrt stabilisiert es sich allerdings erstaunlich gut. Den Lenker musste ich aber schon immer gut festhalten und die gesamte Karosse reagiert völlig anders als ein agiler Renner. Aber irgendwann gewöhnt man sich ja an fast alles und so ging es mir auch. Geradeaus in der Ebene fährt das Teil prima. Zum Anfahren ist je nach Beladung natürlich mehr Kraft erforderlich. Bei nicht vollbeladenem oder sogar leerem Hänger wurde die Fahrt für mich richtig zum Genuss. Das Teil schnurrt dann folgsam einfach hinterher und ist quasi nicht mehr zu spüren. Bergauf dagegen spürte ich das ganze Gewicht des beladenen Anhängers und war froh, eine 34:34-Übersetzung zu haben. Wiegetritt machte leider gar keine Spaß, denn das Rad steht wie ein Brett unter einem und wenn die seitliche Neigung zu groß wird, dann neigt es eben zum kippen. Ähnlich in Kurven, die hab ich versucht, mit gleichmäßiger Geschwindigkeit und damit seitlicher Neigung zu durchfahren. Bergab schiebt das Teil gewaltig, wie ein kleiner Motor. Bremsen ging aber gut. Ein Satz Bremsgummis hat auch locker ausgereicht, die Reservergummis, die ich vorsichtshalbe dabei hatte, brauchte ich nicht. Unebenheiten in der Straße, auch Bodenwellen und Schlaglöcher nimmt die Federung locker auf und gibt keine nennenswerte Impulse ans Rad weiter. Bergab ist bei 40 kmh Schluss. Auf sehr ebener Straße geradeaus hab ich mich schon mal bis 60 kmh getraut. Das Gefährt lag gut auf der Straße. Die Vorstellung, was passiert, wenn man stürzt und der Anhänger mit 40 kg kracht über einen drüber, ist aber nicht so schön. Bergauf gibt es neben der eigenen Leistungsfähigkeit und der Übersetzung noch ein anderes Limit. Ab rund 14 % fing das Vorderrad so langsam an, den Bodenkontakt zu verlieren. Einmal auf Schotterstrecke ist mir das passiert und ich bin stumpf umgekippt.

Probleme mit dem Hänger: hatte ich leider zwei unterwegs. Nummero 1: Nach rund 100 km stellte sich heraus, dass sämtliche Speichen am Hinterrad locker waren. Das geht gar nicht, erst recht nicht bei einem Produkt dieser Preisklasse! Nach dem Anziehen der Speichen war dann auch das schwammige Fahrgefühl weg, das ich vorher mit wilder Einstellerei am Dämpfer zu beseitigen versucht hatte. Nummero zwei: Wird der Schnellspanner an der Kupplung nach oben geschlossen, verbiegt er in engen Kurven den Splint. Der kostet gut 20 Euro extra (deswegen?) und löst sich dann nicht mehr. Ist mir leider passiert. Er ließ sich dann wieder zurückbiegen, schön ist das aber nicht. Besser wäre ein Hinweis in der Anleitung, dass der Schnellspanner nach unten zu schließen ist. Noch besser eine Konstruktion, die so eine Fehlbedienung ausschließt.

Zum Transport in der Bahn: In den Zweier- und Dreier-Abstellplätzen der deutschen und schweizerischen IC-Zügen findet der Anhänger an die hochkant aufgehängten Räder rangerückt gut Platz. Im deutschen IC hab ich die Deichsel nach hinten gedreht. So ragt der Anhänger nur geringfügig in die freizuhaltenden Gänge, so dass ich nicht den geringsten Ärger mit Bahnpersonal oder anderen Fahrgästen hatte. Um Wege auf den Bahnsteigen zurückzulegen, fand ich es am besten, den Anhänger ans Rad zu koppeln und das Gespann über die Bahnsteige und durch die Bahnhöfe zu schieben. Die meisten Fahrstühle waren groß genug für den abgekoppelten Anhänger. Zur Not lässt sich der Anhänger mit festgespannter Tasche auch von Hand, am Tragegriff der Tasche, die Treppe rauf oder runter tragen. Ist aber eine ziemliche Ochserei. Zur noch größeren Not, beispielsweise zeitlicher Art, müsste es eigentlich auch funktionieren, mit einer Hand die Tasche mit druntergespanntem Anhänger und mit der anderen Hand das leichte Rad zu tragen. Hab ich aber selbst nicht ausprobiert und kommt eher für Typen mit besserer Oberarmmuskulatur in Frage.

Vorteile des Tout-Terrain-Anhängers:
- hoher Spaß-, Show- und Autonomiefaktor
- grundsätzlich zuverlässiges Teil mit sehr guten Fahreigenschaften (20“-Hinterrad, Federung)
- nur etwas größere Schleppkurve gegenüber Hinterachsbefestigung
- genialer integrierter Ständer (Abstellen mit und ohne Rad, Be- und Entladen)
- Sattelstützbefestigung universell, unabhängig von Ausfallenden, Hinterradfederung, Radgröße

Nachteile:
- hoher Preis, teuer „Extras“ (Ständer, Schutzblech, Tascheneinsatz, Splint)
- miserabel eingespeichtes Hinterrad
- etwas fragwürdige Kupplung (fehlender Hinweis in Anleitung)
- Lack am Ständer nicht geschützt
- Ausrichtung von Rad und Anhänger etwas mühselig

Fotos hier: http://fotos.rennrad-news.de/s/14284
 
Super Bericht und Super Leistung.
Ich kann mir vorstellen wie viel spaß Du hattest.

Bei der nächsten Harz Tour bitte mitbringen ;-)
 
@ Andreas: mach ich gerne. Wir können auf dem Anhänger dann unsere eigenen heißen Bockwürste transportieren. Ziehen musst ihn allerdings du, denn du hast ja das leichteste Rad ;-).
@ Torsten: Reisebericht schaff ich nicht mehr, ist schon zu lange her und ich plane schon die nächste Tour: Genf - Nizza - Genf, hin über die Route des Grandes Alpes, zurück über Ventoux, ab 22.08. 18 Tage. Ohne Anhänger, nur kleiner Rucksack.
 
@ Andreas: mach ich gerne. Wir können auf dem Anhänger dann unsere eigenen heißen Bockwürste transportieren. Ziehen musst ihn allerdings du, denn du hast ja das leichteste Rad ;-).
@ Torsten: Reisebericht schaff ich nicht mehr, ist schon zu lange her und ich plane schon die nächste Tour: Genf - Nizza - Genf, hin über die Route des Grandes Alpes, zurück über Ventoux, ab 22.08. 18 Tage. Ohne Anhänger, nur kleiner Rucksack.
Sehr nice ! :) Ich wollte eigentlich auch nach Italien und zurück, aber von Bonn aus, allerdings kam mir ein Unfall dazwischen.. naja nächstes jahr !

Schreib dann aber mal einen Bericht ! über die Nizza tour bitte
 
Moin Kaipi,
ich hatte mir den Anhänger im letzten Jahr für eine Tour durch das Weserbergland geliehen und kann deine Anmerkungen bezüglich der Kupplung und der Lackschäden gut verstehen.
Solche Extremtouren sind aber nicht meine Welt.
Ich hätte aber noch eine andere Frage:
Wie und wo hast du die 7kg Gepäck am Rennrad verstaut und gibt es eine Packliste?
Ich experimentiere gerade mit einem Rucksack, aber das ist nicht mein Ding.

Gruß Jörg
 
Hi Jörg,
Packliste hab ich leider nur im Kopf. So in etwa:
- etwas größere Ortlieb Satteltasche mit Werkzeug, Ersatzteilen und Medizin
- Lenkertasche Ortlieb mit Elektrokram, Lesebuch, Schreibheft, Karten, Waschzeug, Regenzeug (Jacke, Überschuhe, Rainlegs), Unterwegsverpflegung
- Rucksack Deuter Race x Air mit Netzrücken: Netbook und Wäsche (Radhose, -trikot, -unterhemd, -socken, wasserdichte Socken, warme Radjacke, Weste, Armlinge, Beinlinge, Trekkinghose zipp off, 2 T-Shirts, Sweatshirt, 2 Unterhosen, 2 P. Socken), Geldbeutel
Der Rucksack wiegt "gefühlt" fast nichts, macht sich auf die Dauer aber doch mit Verspannungen in den Schultern bemerkbar. Ich - und meine Sitzknochen - konnten damit aber ganz gut leben. Lenkertasche beeinträchtigt halt das Fahrgefühl auf dem Rennrad. Dieses jahr will ich es mal mit einer deutlich kleineren probieren. Und weniger Gepäck (kein Netbook). Und Lockerungsübungen für die geplagten Körperteile.
Eine Möglichkeit, wenn du keinen Rucksack willst, ist noch so ein Sattelstützgepäckträger, und eine Rahmeninnentasche. Aber wohin dann mit den Wasserflaschen?
Gruß, Kai
 
Du erinnerst mich an Hannes Wader, "heute hier morgen dort "...
Ich habe mir den Tubus-Disco ans Rennrad geschraubt, 2 Ortlieb-Backroller werden dann mit Minimalgepäck gefüllt, das muss reichen !!
Viel Spaß in den Alpen. Noch ein Tipp falls Du über den Cormet de Roselend fahren willst, die Auffahrt über den Col du Pres ist deutlich schöner.
 
Danke für den Tipp. Genau da will ich rüber und möglichst viele kleine genussvolle Sträßchen fahren. Habs ja nicht eilig und ohne Anhänger fährt es sich bestimmt wie von alleine die Cols rauf.
 
Hi kaipi,

wir machen ähnliche Touren. Waren bereits in Schweden und in der Toskana unterwegs. Wir haben auch den Mule von TT, klasse Teil. Die Investition war er wert. Ich ziehe ihn auch am RR, allerdings eine Carbonfeile von Specialized, sodass ich extra eine Alu Sattelstütze kaufen musste ;)

Ich teile deine Aussagen über die Fahreigenschaften fast zu 100 %. Hier meine Erfahrungen:
- Habe eine 34:32 Übersetzung, aber nach 3 Jahren mit dem Hänger und ca. 1500 km mit ihm am RR ist das kleine KB bereits fertig mit der Welt. In der Toskana konnte ich beim Kette säubern kleine Aluspäneteilchen im Lappen finden ;)
- Die Stütze des Hängers habe ich noch nie verwendet, lehne mein Rad immer irgendwo an. Die 500 g (??) kann man sparen meine ich
- Das Laufrad ist bei mir auch der Schwachpunkt: Ich muss nach jeder längeren Tour die Lager säubern, da sie sonst festgammeln und jedes Mal Dreck und Wasser im Lager ist. Die liegen einfach zu offen in der Achse. Hatte das LR schon eingeschick bei TT. Aber keine Besserung in Sicht. Die sollten ggf. mal ein eigenens System entwerfen, dass zur Steckachse passt und ordentich zu den Seiten abgedichtet ist. Mir haben sie so eine kleine Gummikpappe mitgeschickt, mit der zumindest eine Seite weitgehend abgedichtet ist (aber auch da tritt weiterhin, wenn auch weniger, Dreck ein).
- Die Ortlieb-Tasche mit 89 l haben wir auch, ich habe noch die Griffe abgeschnitten, die man auch nicht benötigt (wieder grammis gespart) ;)
- Das Schutzblech ist nicht sehr haltbar. Meins ist nach ca. 1600 km bereits auseinandergeflogen und liegt jetzt irgendwo in Italien im Müll

Weiterhin viel Spaß mit dem Hänger!!!

Gruß
Nitram
 
Zurück