@Kodiak : Na ja, ich wollte es eigentlich von User
@tienvangbac "hören", denn ich glaube, er weiß nicht genau wovon er eigentlich schreibt.
Ich bin auch nicht unbedingt der Meinung, dass Jobst Brandt ein "schlechter Didaktiker" ist ( war). Allerdings immer noch, dass er vor allem nur eine "glänzende Idee" hatte.
Er beschreibt ja eigentlich ganz genau, wovon er ausgeht, indem er den Vorgang des Kaltziehens bescheibt: Ein Draht wird bis jenseits der Fließgrenze gezogen, dabei sowohl plastisch verformt, als auch verdichtet ( was die Festigkeit erhöht), dann geschnitten. Bei letzterem geht er davon aus, dass sich die künftige Speiche ein wenig "in sich zurück" zieht. Bei diesem Vorgang können nun "
Eigenspannungen" auftreten. Er bezieht sich da auf ein tatsächliches physikalisches "Ereignis" und meint, daraus ableiten zu können, weil sich eben diese Spannungen negativ auf die
Dauerfestigkeit auswirken können, dass das einen Ermüdungsbruch begünstigt.
Zu dem Schluß ist er ganz offensichtlich gekommen, dass es sich auch bei Speichen genau so verhält. Es ist allerdings fraglich, ob der Hersteller von Speichen den Vorgang des Kaltziehens nicht ausreichend unter Kontrolle hat, um eine Schwächung ( es soll ja das Gegenteil erreicht werden) zu vermeiden.
Das nächste ist die Methode: JB will eben, dass man mit dem Recken der Speichen möglichst in den Bereich der Fließgrenze gelangt. eine 2mm Speiche von Sapim hat eine "Festigkeit" ( Herstellerangabe) von 1080-1180 N/mm², also 3393,36N absolut. Selbst wenn damit die Bruchdehnung gemeint ist ( Festigkeit meint eigentlich der Punkt, ab dem das Werkstück dauerhaft verformt wird) läge die Fließgrenze irgendwo jenseits der 2000N.
Nichts, was man mit dem bloßen Hantieren im Speichengeflecht erreichen kann, auch nicht, wenn man sich auf das Laufrad rauf stellt. Vielleicht beim Abdrücken mit einer modifizierten Drucker-Presse...o.ä.
Noch mal zurück zu den "Spannungen": Jetzt muß man noch etwas beachten: Jobst Brandt redet nämlich erst einmal von Speichen mit durchgehendem Durchmesser. Anders, als hier im Forum, wo diese als "unwürdig" betrachtet werden, ist eine durchgehende 2mm oder 1,8mm oder 2,34mm Speiche durchaus gängig im Laufradbau und ist auch und gerade in amerikanischen Foren die Grundlage der Debatte.
Konifizierte Speichen werden mit ( zumindest bei Sapim und DT) speziellen Kaltschmiede-Verfahren bearbeitet. Sollte in einer gezogenen Speiche also wirklich Spannungen verblieben sein, wären diese spätestens jetzt wirklich "behoben".
Wenn die vorgebliche Ursache und Wirkung des "stress relieving" schon bei Speichen mit durchgehendem Durchmesser fragwürdig ist, ist es bei konifizierten ( Aero Speichen eingeschlossen) erst recht vergebliche Liebesmüh'.
Meine Vermutung ist auch eher, dass Brandt aus einem recht einfachen und durchaus auch nicht so schwer zu deutendem Vorgang beim Laufradbau mit ein paar Gedanken, die einige Umwege eingeschlagen haben, eher ungewollt in der esoterischen Ecke gelandet ist:
Im Grunde geht es wirklich nur darum, dass die Speichen, wenn das Laufrad fertig ist, möglichst in einer geraden Linie vom Flansch bis zur Felge verlaufen. Insbesondere konifizierte Speichen stehen schon mal "kreuz und quer" vom Flansch ab. Bearbeitet man das nicht weiter, muß man wirklich nach einer gewissen Zeit das Laufrad erneut auf den Zentrierständer packen.
Tut man das nicht, es kann durchaus sein, dass das Rad immer noch gerade läuft, hat man aber eine deutlich geringere Vorspannung im Laufrad, oder eine sehr ungleichmäßige, was eben eine in Relation zur Vorspannung vereinzelt hohen Wechselbelastung führen kann.
Vielleicht war dort sein Ansatz und er hat irgndwo gedanklich eine vielleicht nicht völlig falsche Abzweigung genommen, aber zumindest einen unnötigen Umweg gemacht.
Was nicht geht, und da kann man machen was man will: Eine Speiche wird nicht "haltbarer", als sie es von ihrer Substanz her zuläßt. Und das ist oft der Punkt, an dem jegliche Diskussion oder auch "Eigen-Lob-Preisungen" gewisser Laufradbauer ( sei es "Hobby"- oder "Profi") die Gesetze der Physik verlässt und in den Bereich der Esoterik abdriftet.
Speichen brechen wegen Überlastung oder wegen Ermüdung. Punktum. Alles was man tun kann ist, soweit wie möglich vorzubeugen. Wenn man ein Laufrad "sorgfältig" aufbaut, hat man alles getan, was geht. Wenn man sich grenzwertige Aufbauten in Abständen mal vorführen läßt, kann man auch einiges richten und das Ableben weiter hinauszögern. Aber ab einem bestimmten Punkt hat kein Laufradbauer der Welt irgendeinen Einfluß auf "sein Werk" mehr.