Erstmal willkommen im Rennradsport, Bruder!
Low-Carb ist keine gesunde Ernährung, soviel ist schonmal Fakt. Die Empfehlung des nordamerikanischen Institute of Medicine (
siehe Dietary Reference Intake) lautet: 20-35% der Gesamt-kcal aus Fetten, 45-65% aus Carbs. Daran würde ich mich halten. Alle anderen offiziellen Empfehlungen, z.B. der deutschen Gesellschaft für Ernährung, enthalten sehr ähnliche Zahlen.
Sport ohne Kohlenhydrate funktioniert nur, wenn man ihn mit geringer Intensität ausführt. Kohlenhydrate sind schnelle Energieträger, die hohe Energieflussraten aufrechterhalten können. Energieflussrate heißt ATP-Umsatz pro Sekunde. Fette bzw. Ketonkörper können nur geringe Energieflussraten erzeugen, dafür über sehr lange Zeiträume. Es ist ein Axiom der Sportphysiologie, dass man die höchsten Energieflussraten nur mit gleichzeitiger Beanspruchung von Fetten und Kohlenhydraten erreicht.
Das bedeutet, du kannst ohne Carbs durchaus einen Ultra-Marathon laufen, oder 300km auf dem Rad fahren, dafür aber sehr langsam. Sprinten, schnelles rennradfahren, andere intensive Sportarten gehen nicht. Du kannst es versuchen, aber gut kannst du darin nicht werden. Rennradfahren hat üblicherweise wechselnde Intensitätsniveaus, mit Leistungsspitzen am Berg oder im Sprint. Wenn du unbedingt willst, schaffst du übliche Touren ohne Carbs - aber warum will man sich sowas antun?
Du schreibst auch, dass du an Muskelaufbau interessiert bist. Sehr befürwortenswert! Aber Muskeln baut man vor allem aus Glucose auf - eine wenig bekannte Tatsache, Erklärung siehe ein paar Absätze weiter unten. Außerdem kann man viele wichtige Wachstumsfaktoren wie IGF-1 aus der Leber und muskelspezifische Wachstumsfaktoren wie IGF-1, MGF, HGF, FGF nur aufbauen, wenn genug Insulin vorhanden ist.
Hier ist ein etwas längerer Text von mir, den ich aus einer privaten Unterhaltung kopiere. Ich hoffe, es kommen nicht zu viele Fachbegriffe vor, aber wenn doch stehe ich für Fragen immer bereit:
Lass uns als Gedankenexperiment annehmen, eine Muskelzelle hat keine Glucose zur Verfügung, nur Fett- und Aminosäuren. Der Knackpunkt bei Fettsäuren ist, dass sie reine Elektronenspeicher sind. Die Energie aus Fettsäuren und Kohlenhydraten stammt nämlich aus Elektronen, also ganz ähnlich wie die Energie aus der Steckdose. Das können sie gut, Fettsäuren speichern viele Elektronen in sehr wenig Masse. Die Kohlenstoffstruktur der Fettsäuren kann allerdings fast nur zur Energiegewinnung abgebaut werden, also diese C-Atomen können kaum in biosynthetische Prozesse eingebracht werden. Das ist bei Glucose und Aminosäuren anders, d.h. diese Nährstoffe sind Energieträger, aber auch strukturelles Baumaterial für den Körper. Eine Ernährung, die nur aus Fettsäuren besteht, wäre daher mit dem (menschlichen) Leben nicht vereinbar.
Okay, also Fettsäuren sind einfach lange Ketten von C-Atomen, die in der beta-Oxidation in Kurze Moleküle aus 2 C-Atomen gespalten werden (namentlich Acetyl-CoA), welche dann in den Citratzyklus wandern. Dort werden sie ein bisschen umgebaut, Details sind nicht so wichtig, und ultimativ werden die Elektronen, die Ursprünglich in den Fettsäuren dicht gespeichert waren, in die Atmungskette der Mitochondrien gebracht, wo ihre Energie zum Aufbau einer Spannung genutzt wird, die letztendlich die ultimative Energiequelle für die Synthese von ATP und damit für alle Lebensprozesse darstellt.
Hier ist ein Überblick über den Citratzyklus aus der Wikipedia:
Der Citratzyklus kriegt pro Runde 2 C-Atome aus den Fettsäuren und 2 C-Atome werden an späterer Stelle entfernt und letztendlich zusammen mit dem eingeatmeten Sauerstoff als CO2 abgeatmet. Die Bilanz der C-Atome ist daher Null, weswegen man mathematisch gesehen auch garnichts aus Fettsäuren aufbauen kann. Beim Abbau von Glucose oder Aminosäuren entsteht unter Umständen ein Überschuss an C-Atomen, aus dem man viele lebenswichtige Moleküle aufbauen kann.
Hier ist das Problem: Die Kohlenstoff-Bilanz ist beim Fettsäureabbau Null, aber hin und wieder muss der Citratzyklus aus diversen Gründen C-Atome für andere Reaktionen abgeben. Diesen Verlust an C-Atomen nennt man "kataplerotische Reaktionen", übersetzt entleerende Reaktionen. Wenn man nur Fettsäuren zur Verfügung hat, wird der Citratzyklus nach und nach entleert und er kommt zum erliegen. Dann wars das auch mit der Energiegewinnung aus Fettsäuren und die Zelle stirbt.
Das Gegenteil der kataplerotischen Reaktionen sind die anaplerotischen Reaktionen, also auffüllende Reaktionen. Die wichtigste ist die Verwendung von Glucose, bzw. seinem Abbauprodukt Pyruvat. In unserem Gedankenexperiment haben wir ja keine Glucose und ich denke, du erkennst langsam das Problem, nicht wahr?
Man kann auch Aminosäuren zur Anaplerose verwenden, aber das ist rein mengenmäßig viel weniger ausschlaggebend als die Anaplerose aus Glucose, und wenn ich mich recht erinnere geht das nur aus Aspartat und Glutamat (die im Muskel größtenteils aus Glucose aufgebaut werden). Außerdem muss man, um Aminosäuren für die Anaplerose zu bekommen, Proteine abbauen. Proteinabbau benötigt Energie, ebenso der Transport der Aminosäuren von den Orten des Proteinabbaus ins Mitochondrium, wo der Citratzyklus ist. Wenn die Zelle ohnehin stark unter Energiemangel leidet (beim Sport), kommt bald auch der Proteinabbau zum erliegen und die freien Aminosäuren gehen zur Neige.
Das ist also das Problem, ohne Glucose kommt der Citratzyklus zum erliegen und das wars, ganz egal wieviele Fettsäuren zur Verfügung stehen. Es gibt als Zusammenfassung für dieses Konzept den Spruch "Fette verbrennen im Feuer der Kohlenhydrate". Ich mag ihn nicht, er ist nichtssagend und irreführend, aber es ist wahr, dass man Fettsäuren ausschließlich dann zur Energiegewinnung verwenden kann, wenn man parallel auch Glucose abbaut. Aus der Leistungsphysiologie ist bekannt, dass man hohe Energieflussraten und somit hohe Leistungen nur dann aufrechterhalten kann, wenn man gleichzeitig Glucose und Fettsäuren im richtigen Verhältnis abbaut. Dabei ist Glucose immer im Mangel, d.h. man muss während der Belastung ständig Glucose nachtanken, damit die Leistung nicht sinkt.
Der unter Rennradfahrern gefürchtete Hungerast ist kein Mangel an Fettsäuren, sondern ein Mangel an Glucose und Aminosäuren, wodurch der Citratzyklus entleert wird und der Fettsäureabbau nicht mehr funktioniert, ganz egal wieviele Fettsäuren man zur Verfügung hat. Durch verbesserte Fähigkeit, Fettsäuren zu mobilisieren und abzubauen kann man einen Hungerast demnach auch nicht vermeiden oder hinauszögern.
Noch ein anderer Punkt: Wie gesagt kann man aus Fettsäuren mengenmäßig kaum anabolen Biosynthesen betreiben, aber aus Glucose und Aminosäuren schon. Glucose ist nicht nur eine Energiequelle, sondern auch unser wichtigstes strukturelles Substrat. Wir bestehen aus Glucose, das ist keine Übertreibung. Möchte man langfristig unter Glucosemangel trainieren, muss man logischerweise auch weniger Glucose essen, als man für die optimale Funktion des Organismus benötigt. Darin sehe ich ein ziemliches Problem, denn Sportler sind stark angewiesen auf Glucose als strukturelles Substrat. Aus Glucose macht man z.B. die Ribose, aus der die DNA und RNA bestehen - das "Ribo" in (Desoxy-)Ribonucleinsäure steht für Ribose. Für jedes Molekül der Nucleinsäuren braucht man also ein Molekül Glucose. Viele andere C-Atome in den Nucleinsäuren kommen ebenfalls aus Glucose, bzw. aus Aminosäuren, deren Kohlenstoffgerüst man vorher aus Glucose aufgebaut hat. Sportler haben einen hohen Umsatz an Nucleinsäuren, die sie für Zellwachstum, Regeneration, Zellteilung (und Muskelaufbau!) usw. brauchen. Auch ATP ist ein Derivat einer Nucleinsäure, jedes Molekül ATP enthält ein Molekül Ribose, entsprechenden 1 Molekül Glucose plus viele weitere C-Atome, die ursprünglich aus Glucose stammen. Etliche Co-Faktoren, u.a. das überall vorkommende Coenzym A, enthalten Ribose. Gleiches gilt für Hämoglobin und im Prinzip alle Moleküle, aus denen wir bestehen. Nur wenige haben nicht irgendwo irgendwie Glucose als Ursprungsmaterial für einige ihrer Kohlenstoffatome. Aus Glucose baut man sich außerdem 11 der 20 proteinogenen Aminosäuren. Unter Glucosemangel steigt der Proteinbedarf extrem an (auf etwa das drei- bis vierfache).
Zusammenfassend: Würde man für ein Experiment nur Glucose essen, die aus radioaktiv markierten Kohlenstoffatomen besteht, und später nachschauen, wo sich markierte C-Atome finden lassen, dann würde der gesamte Körper aufleuchten wie eine einzige, große Glühbirne.
Es gibt auch den interessanten Spezialfall des sog.
Tumor-Metaboloms. Das ist ein Stoffwechselzustand, der nicht nur auf Tumorzellen zutrifft, sondern auf alle schnell wachsenden und sich schnell teilenden Zellen, z.B. Stammzellen, die es in der Muskulatur (Satellitenzellen) und im Bindegewebe des Bewegungsapparates zuhauf gibt. Diese Zellen nehmen besonders viel Glucose auf und bauen sie atemberaubend schnell ab, aber sie machen daraus keine Energie, sondern benutzen sie ausschließlich für Biosynthesen anderer Moleküle. Die Energie machen sie aus der Aminosäure Glutamin. Je mehr Wert eine Zelle auf Wachstum, Teilung und auch Regeneration legt, desto eher benutzt sie dafür Glucose, weil es schneller geht und der Mechanismus weniger Komplex ist, als alternative Quellen für die benötigten Kohlenstoffatome. Die Bedeutung der Glucose als strukturelles Substrat kann man nicht genug betonen!
Um sich also überhaupt in die Lage zu versetzen, unter Glucosemangel zu leben, nimmt man zwangsläufig eine gewisse Fehlernährung in Kauf, die den strukturellen Aufbau des gesamten Körpers betrifft. Das ist in meinen Augen eine extrem schädliche Strategie, gesundheitlich und für die sportliche Leistung.
Auf den Fettabbau bezogen ist Low-Carb übrigens weder nötig noch hilfreich. Insulin ist unterm Strich sogar hilfreich für den Fettabbau.