Cannys Wunsch nach neuen Impulsen ohne Streichungen kann ich gut verstehen, leider ist die Olympiade auch so schon eine Riesen-Veranstaltung die entsprechend Geld kostet und da sind Streichungen gar nicht so unsinnvoll.
Das Problem des Bahnradsportes ist natürlich das fehlende Zuschauerinteresse (ausser bei 6-Tage-Rennen sieht sich das doch keiner an) und dieses Problem teilen sie mit vielen anderen Olympischen Sportarten. Wenn es solche sind, die aufwendige technische Ausrüstung und eine entsprechende Anlage benötigen, fehlen auch die Breitensportler, die Basis die diesen Sport trägt. Im Sportbund wird aber auch in solchen Sportarten viel Geld versenkt, da werden Mitgliederbeiträge noch und nöcher verschleudert, damit man dann irgendwann möglichst oft das weisse Trikot mit Adler auf dem Podest sieht. Dann ist die Volksseele glücklich und die Bild kann schreiben, wir seien die Größten. Wenn die oben erwähnten Traditionsdisziplinen noch dabei wären, gäbe es bei Olympia kein MTB. Wäre das gerecht? Man muss in dem Zusammenhang auch berücksichtigen, wie wichtig die wirtschaftlichen Entwicklungen in einer Branche für die Ausprägung des Wettkampfsportes sind. BMX-Räder lassen sich nunmal viel besser verkaufen als Renntandems, von MTB´s ganz zu schweigen.
Ich will euch ein Beispiel aus einer anderen Disziplin bringen: Wildwasserkajak. Seit den Olympischen Spielen von München ist der Slalomsport olympisch, bei dem im Wildwasser mit dem Kajak zwischen diesen Stangen hindurch gefahren wird. Da die Ansprüche an die Komplexität einer Wettkampfstrecke immer weiter gestiegen sind und man sich von natürlichen Unwegsamkeiten wie Pegelständen nicht abhängig machen will, müssen für diese Veranstaltungen künstliche Kanäle gebaut werden. In der Regel mit Pumpen und allem tralala, Millionenobjekte also. Dieser Sport unterscheidet sich aber grundlegend von dem, was tatsächlich auf Wildbächen getrieben wird. Er hat keine Basis, keine Grundlage. Er ist ein fiktives Hirngespinst des Sportbundes, der keine Zuschauer zieht, keine Absatzzahlen hat und der den Kids, die vor der Wahl stehen "Playstation oder selber Sport?" völlig am Allerwertesten vorbei geht. Stellt man sich an einen Bach in den Alpen oder an einen der künstlichen Kanäle sieht man unzählige junge Kajakfahrer, die mit ihren Stummelbooten auf den Wellen reiten, die dollsten Tricks zeigen bei denen sie sich samt dem ganzen Kajak in die Luft schleudern und jede Technikübung des Wettkampsport ins Gegenteil verkehren. Sie nennen ihre Stunts "Godzilla Space Loop" oder "Aerial Blunt", ihre Klamotten sind kunterbunt, gerne werden Feuerwehrhelme getragen oder Schwimmwesten mit aufgedrucktem Gerippe. Sie weigern sich Flüsse komplett zu befahren, ihnen reicht eine Welle, um den ganzen Tag Spaß zu haben. An den Kunstanlagen bietet sich uns folgendes Bild: Dutzende oder Hunderte Kids haben Spaß, dann ertönt eine Sirene, alles runter. 4 oder 5 muskelbepackte Testosteronbolzen aus einer Sportförderkompanie tauchen auf und tragen ihre hundsteuren Carbonboote auf die Strecke. Die nächsten zwei Stunden kurven diese mit verbissenem Gesicht durch die Strecke, wo zuvor noch Lachen und Leben war. Sie zeigen gar nichts, was schön anzuschauen wäre, da schwellen nur die Oberarme. Sind sie fertig, ist es dunkel und die Kids sind zu Hause.
Für die Kanubranche sind die sogenannten "Rodeo-Fahrer" viel interessanter, da sie sich ihre Ausrüstung im Fachgeschäft kaufen und nicht alles per Direktvertrieb auf Wettkämpfen läuft. Sie kurbeln das Geschäft an, sie schaffen sich ihre Möglichkeiten selbst, indem sie die Streckenbetreiber unter Druck setzen. Wer zahlt, will fahren. Klar, oder? Bei Rodeoturnieren finden sich oft viele tausend Zuschauer ein, es herrscht lockere Stimmung und der Weltmeister verpennt schonmal verkatert seine Titelverteidigung. Gewonnen hat, wer am meistens Spaß hatte.
Solcherlei Verhalten gefällt dem Deutschen Kanuverband natürlich überhaupt nicht, die Kinder haben gefälligst entweder das große Wanderabzeichen in Gold zu erpaddeln oder eben Rennsport zu betreiben. Die denken aber gar nicht dran und haben es soweit gebracht, dass der Sportbund heute in Bereichen des Kajaksportes um seine Existenz bangen muss, da es keinen Grund gibt ihm beizutreten. Im Gegenteil, die Leute die die Zeche zahlen werden behindert und blockiert, um irgendwelchen skurilen Randsportarten genug Raum und Möglichkeiten zu schaffen, alles für die Jagd nach irgendwelchen kleinen Blechstücken, mit denen man das nationale Ego aufpolieren kann. Warum sollte man dafür Mitgliedsbeitrag bezahlen wollen? Der Kanuverband hat vollkommen verschlafen, was auf den Bächen eigentlich passiert. Dort oder auf den Kunststrecken finden Turniere statt mit großen Sponsoren, die Festivalcharakter haben, mit Livemusik und Zeltwiese und die das ganze Wochenende dauern.
...und über den Zaun gucken die 5 Slalomfahrer, die Spritzen noch im Arm, die Gesichter zu verspannt, um mitlachen zu können und sie wundern sich, was sie eigentlich falsch gemacht haben und warum sie keiner sehen will... Wisst ihr wer neben ihnen steht? Die Bahnradfahrer, genau. Wollt ihr euch wirklich dazustellen? Ich werde genau wie die BMX-er wohl eher mitfeiern.
Das ist die Zukunft, hier müsste man sich engagieren, vor allem wenn der Sportbund seiner sozialen Aufgabe gerecht werden wollte. Das ist in der Halfpipe nämlich viel besser möglich als in irgendwelchen miefigen Turnhallen. Stattdessen streicht der Gesetzgeber die Übungsleiterzuschüsse und erhöht den Sportförderetat, wir waren in Athen ja so schlecht... Eine Olympiade mit Half-Pipe, Green Room und Beach Volleyball? Ja, bitte!!! Dann brauchen wir diese ganze testosteronprotzende, nationalismusschwangere, verkniffene Mistveranstaltung voller Sportsoldaten vielleicht in der Form nicht mehr über uns ergehen lassen. Den Bahnradfahrern, den Gehern, den Slalomfahrern oder den Turmspringern wird doch kaum jemand eine Träne nachheulen, ich am wenigsten.