Kennt Ihr das? Da hat man gelernt, wie die Dinge sind und zieht dann nach und nach Schubladen, um bald festzustellen, dass keine der Schubladen passt.
Gestern auf der Heimfahrt. Ich fahre eine leichte Steigung. Schon in Sichtweite kreuzt der Bahntrassenradweg. Der ist mein Ziel, denn ich möchte schön gemütlich hoch in die Eifel rollen. Auf die Entfernung überqueren ein paar Radfahrersilhouetten die Straße. Zügig, aber ohne große Eile. In meinem Kopf formt sich ein erstes Bild von ein paar älteren Herren auf Rennrädern, die gemeinsam spazierenfahren. Auch wenn sie meine angepeilte Richtung eingeschlagen haben, werde ich sie sobald nicht treffen, denn der Asphalt ist dort in gutem Zustand und rollt gut. Und ich bin ja heute auch nicht so schnell unterwegs.
Wie ich den Radweg erreiche und auf ihn abbiege, sehe ich, dass das Grüppchen noch gar nicht so weit gekommen ist. Die sind viel näher als erwartet, wundere ich mich, während ich mich ihnen nähere. Die vier haben gerade eben angehalten. Vor ihnen blockiert eine Baustellenabsperrung den Weg. Sie gucken interessiert, was dort passiert, während sie gleichzeitig ohne großes Zögern dabei sind, ihre Fahrtrichtung umzukehren. So richtig überrascht scheinen sie nicht zu sein und es scheint auch keine Diskussion nötig zu sein, wie der Streckenverlauf am besten an die neuen Begebenheiten angepasst werden soll.
Ich selbst bin erst letztens hier entlanggefahren und hatte mich gewundert, dass auf dem Gelände des alten Bahnhofs auf einmal aktiv mit Holz gebaut wurde. Aus dem Augenwinkel hatte ich damals einen hölzernen Turm gesehen, so in der Form eines kleinen Wasserturm, wie ich sie mit Dampflokomotiven in Verbindung bringe. Eine Plattform gab es dort. Und eine lange hölzerne Hängebrücke hing in der Höhe quer über dem Radweg. Seltsam, dachte ich damals. Es blieb das zweifelnde Bild hängen, dass hier irgendetwas Freizeitgeländemäßiges entstehen würde. Aber warum gerade hier? So richtig schlüssig war das alles nicht.
Während die vier also drehen, grüße ich freundlich in die Runde. Ich schaue in das erste strahlende Augenpaar. Kein reines Herrengrüppchen, geht mir durch den Kopf. Das zweite lachende Augenpaar einer Frau. Aha, denke ich, hier sind zwei Ehepaare miteinander unterwegs. Beim dritten Augenpaar bin ich mit den bekannten Bildern am Ende und beim vierten Augenpaar weiß ich, dass mein Erfahrungsschatz gerade eben um ein sehr charmantes Bild erweitert wird. Die vier junggebliebenen Damen mit ihren lachenden und strahlenden Augen auf dünnen
Reifen sind bester Laune und haben offensichtlich ihren Spaß an der Sache. Auf mein "Was ist denn hier los?" sind wir im Nu um Gespräch.
Man würde wohl noch nach einem Monster oder einer Mumie suchen, sagt die letzte der Vier zu mir, neben der ich zum Stehen gekommen bin. Während ich sie fragend ansehe fügt sie hinzu, ob ich denn nicht das Monster übernehmen wolle? Ihre Augen blitzen verschmitzt. Sie hätte zu ihrer Enkelin schon gesagt, dass sie selbst auch gut die Mumie machen könne. Während wir gemeinsam lachen und uns den Ball zuspielen, lasse ich mir erklären, dass man hier momentan an einem Bühnenbild für einen Kinderfilm arbeite, der demnächst hier gedreht werden solle. Und sie, also die vier Damen, würden hier regelmäßig vorbeischauen, wie es denn damit voran ginge.
Ich bin ein wenig traurig darüber, als sie mir sagt, dass sie nicht so wie ich auf dem Weg in die Eifel seien. Wie schade! Das hätte eine unterhaltsame Fahrt werden können, denke ich mir. Sie hätten, so fährt sie fort, sie hätten Bedenken wegen des Wetters und wollten nicht in den Regen kommen. Das hätten sie letzte Woche Donnerstag schon erlebt. Während wir gemütlich ein wenig des Wegs zurückrollen folgt die Geschichte eines Sturzregens und eines spontanen Unterschlupfs in der Scheune eines Bauerns, der dort sogar einen Kühlschrank und eine Sofagarnitur stehen gehabt hätte. Dann trennt sich leider unser Weg. Wir verabschieden uns.
Und so rolle ich wieder alleine. Hoch in die Eifel. Dieses Bild der vier Junggebliebenen will mir dabei nicht aus dem Kopf gehen. Vielleicht hätte ich meinen Plan aufgeben und einfach mit ihnen zurück rollen sollen. Einfach der Geschichte und des lockeren Plauderns wegen. Und um das Rätsel um dieses Grüppchen für mich zu lösen. Aber ich will ja auch in die Eifel, denn auch dort habe ich ja noch etwas vor.
Es ist windig. Hin und wieder habe ich den Eindruck, dass ich einen Tropfen abbekommen hätte, aber das Wetter hält. Und später stehe ich oben in Raffelsbrand. Dort, wo früher diese einmalig seltsame dreieckige Kreuzung am Ende der Jägerhausstraße mein Tor zur Eifel war, ist nun eine große Baustelle. Hier soll demnächst ein Kreisel entstehen. Diesmal ist die Sicht besser als vor zwei Wochen. Ich blicke in die Ferne. Am Horizont zeichnet sich das Siebengebirge ab. Tatsächlich. Schon von hier aus kann man es sehen. Danke
@sibi , dass Du mir dieses kleine Detail meines Reviers gezeigt hast, das ich so noch nicht kannte!