(...) Da ist eine optische Disbalance für mich zwischen dem kappen Platz zwischen Sitzrohr und HR hinten und dem üppigen Platz vorn zwischen Unterrohr und VR.
Ich weiß genau, was Du meinst und mag gerne erklären, wie es zusammenhängt und warum wir es nicht verhindern konnten.
Zuerst nochmal die Gundlage:
Der Rahmen sollte ja die Geometrie von Ignatz' famosem Vogel möglichst exakt kopieren. Bei näherem Hinsehen ist der Vogel aber gar kein klassisches Reiserad, sondern beinahe ein aktuelles Rennrad mit kurzem Hinterbau und (für uns Historiker hier) eher flachem Lenkwinkel, was allein schon gegen unserere Sehgewohnheiten verstößt. Der flache Lenkwinkel wird dabei durch weniger Nachlauf und eher niedrige Belastung des Vorderrads entschärft, das Rad fährt sich ohne Gepäck auf dem Frontträger durchaus nicht träge. Beim Vogel fällt der Abstand zwischen Vorderrad und Unterrohr wegen der Schutzbleche weniger auf, ist aber ähnlich.
Von der Vogel-Vorgabe mussten wir wegen des kürzeren Max-Ober- und Unterrohrs rundum abweichen, weil wir einen Rahmen mit flachem Lenkwinkel nicht durch mehr Gewicht auf der Vorderachse unnötig träge machen wollten. Also wurde auch der Hinterbau prozentual um den Betrag des Vorderteils gekürzt und damit endültig rennradmäßig. Der ebenfalls nötige, flache Sitzrohrwinkel (lange Beine, großer Mensch!) bringt das Oversize-Sitzrohr (31,8 im Mittelteil) dann nochmal näher an den Hinterreifen.
Und jetzt zum
Abstand zwischen Vorderrad und Unterrohr:
Das haben wir auf der Zeichnung schon gesehen, konnten es aber nicht wirklich ändern und ich zeige es mal schnell an einem anderen Projekt,
das ganz ausdrücklich nicht unsere Nummer zwei ist und sich komplett außerhalb des Forums bewegt. Die Zeichnung hatte ich nur gerade schnell zur Hand.
Eine Gabel bringt ja immer eine bestimmte Einbauhöhe mit, also den Abstand zwischen Reifen und Gabelkopf und, mit der Höhe des Kopfs, auch den Abstand zwischen Vorderachse und Steuerrohr.
Bei einer fertigen Gabel (wie hier gezeigt) muss man den Rahmen um deren Vorgaben herum ausdenken, aber auch eine selbstgebaute kann man nicht beliebig kurz machen, wenn sich das Rad noch drehen soll.
Die Gabel des blauen Renners ist übrigens so kurz, dass zwischen Vorderbremse und 25er Reifen kaum noch 3 mm Abstand sind. Also ausgereizt.
Verwenden wir nun eine vorgegebene Gabel mit einem flachem Lenkwinkel an einem sehr großen Rahmen mit dem nötigen, langen Unterrohr, ergibt sich ganz von selbst ein ziemlich großer Abstand zwischen Vorderrad und Unterrohr.
Das Steuerrohr kann man nicht beliebig kürzen und das Unterrohr nicht beliebig weit unten ans Steuerrohr bauen, weil der Steuersatz noch dazwischen passen muss; das bedingt sich wiederum alles gegenseitig.
Hier vergleichbar mit dem Blauen: 72° und mäßiger Nachlauf = großer Abstand zum Rad.
Wenn wir den Abstand zum Unterrohr jetzt ändern wollen, können wir:
- das ganze Vorderteil kürzer machen
- den Nachlauf länger machen
- den Lenkwinkel steiler machen und dabei um den Schnittpunkt mit dem Oberrohr drehen (unveränderte Oberrohrlänge, aber deutlich kürzerer Radstand)
- den Lenkwinkel steiler machen und dabei um den Schnittpunkt mit dem Unterrohr drehen (längeres Oberrohr und nur wenig kürzerer Radstand)
- oder ein wenig von allem gleichzeitig
Erste Anpassung für weniger Abstand:
- Steuerrohr und Gabel auf 74° ums Oberrohr gedreht
- Sitzposition und Vorbaulänge deshalb unverändert
- harmonischer Abstand zum Unterrohr
- aber 10 mm weniger Nachlauf (will man an so einem Lenkwinkel eher nicht)
- mehr Gewicht auf dem Vorderrad (gleicht den kürzeren Nachlauf teilweise aus, aber es bleibt hektisch)
- und 30 mm weniger Fußfreiheit (worüber man diskutieren kann und darf; das wäre am Rennrad meiner Meinung nach vertretbar)
Zweite Anpassung, Nachlaufkorrektur:
- Nachlauf auf übliches Maß bei steilen Lenkwinkeln vergrößert
- nochmals 20 mm weniger Fußfreiheit, was jetzt wirklich unangenehm werden kann
- und meiner Meinung nach schon stark veränderte Gewichtsverteilung
Wenn man eine bestehende Geometrie möglichst gut auf eine andere Radgattung kopieren will, muss man fast immer optische Kompromisse eingehen.
Aber dafür haben wir ja Nummer zwei, und genau in die optische Harmonie haben wir gestern schon einige Gedanken versenkt. Dabei könnte uns z.B. ein integrierter Steuersatz an einer "kopflosen Gabel" helfen, oder eben eine leicht angepasste Grundgeometrie.
Es bleibt hier also spannend.