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Deleted65933
In diesem Jahr, meiner zweiten Rennradsaison nach Wiederentdeckung dieses wunderbaren Sports, habe ich mich für die Brevetserie der ara-bb.de angemeldet. Die erste Fahrt fand am vergangenen Samstag statt und führte von Berlin über Neuruppin, Wusterhausen, Rhinow und Nauen zurück nach Berlin. Rund 210km mit nicht nennenswerten Höhenmetern. Nachdem die Tage zuvor sehr mild und sonnig waren, blieben die Aussichten für diesen Tag zunächst schlecht, besserten sich jedoch von Tag zu Tag so daß am Vortag 7 Grad mit nur geringer Wahrscheinlichkeit für Regen vor 17 Uhr angesagt waren. Allenfalls mit wenig Nieselregen rechnete ich.
Es sei schon jetzt verraten: das war das letzte Mal, dass ich mich auf eine Wettervorhersage verlassen habe oder mit irgendetwas rechne
Nachdem ich in der Nacht nur kurz und nicht sonderlich gut schlief, sogar davon träumte meine Startkarte vergessen zu haben, der Wecker ungnädig um 4.10 klingelte, machte ich mich gegen 5.15 auf den Weg zum Treffpunkt. Nabendynamo von Shimano mit cycle2charge Ladegerät waren bereits ausgiebig getestet und hatten sich als zuverlässig erwiesen. Das Wetter kühl aber erfrischend und der Duft des frühen Morgens ist ja ohnehin durch fast nichts zu ersetzen. Ich könnte Gefallen daran finden, wenn das denn nicht soooo früh wäre. Langärmeliges Unterhemd, darüber ein langärmeliges Trikot, Jacke, neonfarbene Windweste, Überschuhe sowie langfingrige Handschuhe hielten Körper und Gliedmaßen warm.
Aus dem tiefen Südosten der Stadt ging es, im fast autofreien Berlin, durch den Tiergarten, vorbei an der Siegessäule weiter nach Moabit zum Treffpunkt im Amstel House. Dort erst einmal zwei, drei Kaffee und zwei Bananen als zweites Frühstück, die Startkarte abgeholt und hier und da Worte gewechselt. Ich kannte ja niemanden
Insgesamt hatten sich 90 Fahrer angemeldet die, in drei Gruppen aufgeteilt, mit 10 Minuten Abstand losrollten. Sehr rasch war es 7.10 und ruhig und gelassen fuhr unsere Gruppe, zu der zunächst auch 2 Liegeräder gehörten, aus der Stadt heraus. Warum nicht wenige der Mitstreiter Rucksäcke mit sich führten, erschloss sich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht. 200km? Was soll da schon passieren? Dachte ich. Und irrte.
Nach rund einer Stunde hatten wir die Stadt verlassen und ich wartete noch ein wenig ab, wie sich das Tempo entwickeln würde. Der Wind blies merklich und wie immer von vorne, das Tempo blieb moderat, zu moderat, denn ich hatte mir unter Berücksichtigung einer kurzen Mittagspause sowie der Kontrollstellen vorgenommen, nicht später als 15 Uhr wieder in Berlin zu sein um mich der angepriesenen Lasagne zu widmen. Und ganz insgeheim hoffte ich wohl auch auf eine flotte Truppe Rennradler wie jene, mit der ich vor 3 Wochen eine 140km Runde drehen durfte. Bei der Gelegenheit Grüße an Sprintlooser, war ein netter Ausflug nach Buckow.
So fuhr ich alleine voraus, alles lief rund und fühlte sich richtig an. An der ersten Kontrollstelle, einem Golfplatz, holte ich meinen Stempel ab, nuckelte kurz an meiner eZigarette, und fuhr gleich weiter. Und es dauerte auch nicht lange, bis der erste Regen einsetzte. Und nicht mehr aufhörte. Eigentlich fahre ich sehr gerne bei Regen, liebe es wenn das Wasser spritzt und mag die Abrollgeräusche des Pneu auf nassem Asphalt. Okay, vielleicht habe ich einen leichten Schaden oder eine frühe Prägung; einer meiner ersten längeren Ausflüge, ich war etwa 12, mit meinem gerade erworbenem Allkauf-Rennrad endete im strömenden Regen. Walkman mit Saxon, Motörhead und Judas Priest auf dem Ohr tanzten die Endorphine Ballett )
Obwohl ich kein Navi hatte, gelang mir die Orientierung mittels der ausgedruckten Route recht gut, immer wieder konnte man auf den weiten Flächen Brandenburgs andere Radler sehen und sich auch so orientieren und durchhangeln. Gelegentlich schloss ich mich kleinen Gruppen an um doch wieder alleine weiter zu fahren. Derweil regnete es fast ständig, die Temperatur lag bei rund 4 Grad, Handschuhe, Überschuhe und Socken sogen sich langsam voll Wasser aber als "Körperklaus" merkte ich nichts.
Kurz vor Neuruppin habe ich mich kurz verfranst, stieß auf einen anderen Fahrer dem es ebenso erging, doch recht bald waren wir wieder auf der Route wo ich kurz darauf eine Gruppe traf der ich zuvor bereits begegnet war. In Wusterhausen, der nächsten Kontrollstelle die zugleich die Hälfte des Brevet markierte, galt es, die Startkarte in einem Geschäft stempeln zu lassen. So landete ich im örtlichen Museum wo es angenehm warm war und unterhielt mich eine Weile mit dem Pförtner. Wieder vor der Tür, noch gerade im warmen, schlug mir die ganze Kälte entgegen, jetzt merkte ich, wie nass meine Klamotten waren, und fing an zu frieren, wie nur selten zuvor. Die Zähne klapperten, die Füße wurden kalt, der Körper zitterte. Niemand anderes zu sehen, kein Fahrradfahrer, die Straßen menschenleer, die Motivation sank schlagartig von 100 auf 0. Eine Whatsapp-Nachricht an meine Frau um ihr mitzuteilen daß alles gut läuft, ich aber gerade friere wie ein Schneider. Sie schlug vor, nach Hause zu kommen. Nun, das hatte ich vor, die Hälfte war ja geschafft und von nun an war ich ja sozusagen auf dem Heimweg. Was soll da schon passieren?
Im Wusterhausener Café Melodie, wo ich auf einen anderen Teilnehmer traf, versuchte ich mich aufzuwärmen, zog Jacke, Trikot und Schuhe aus und machte dort meine ohnehin geplante Pause. Der Wirt erzählte von den kulturellen Sehenswürdigkeiten der Umgebung, für die Wunderblutkirche in Bad Wilsnack scheint er ein besonderes Faible zu haben und zeigte mir verschiedene Zeitungsberichte, ich genoss einen gute Knoblauchpfanne mit Salzkartoffeln. Warm wurde mir nicht, die Pause wurde deutlich länger als geplant, draussen zogen immer wieder andere Brevetteilnehmer vorbei. Ich musste weiter und zog meine noch immer nassen Sachen wieder an. In solchen Momenten definiert man "Ekel" nochmals völlig neu. Für alle Fälle und als Helfer in der Not hatte ich mir ein paar Thermopads für die Zehen besorgt, hoffte auf ein wenig Wärme aber das Ergebnis war nicht einmal als kläglich zu bezeichnen: die Pads versagten auf ganzer Linie und erzeugten, nicht einmal direkt auf der Haut, auch nur einen Hauch von Wärme.
Die ausgedruckte Route war zwischenzeitlich nicht mehr zu gebrauchen, voller Wasser zerfiel das Papier in viele Teile und Papierbrei. Vorsorglich hatte ich bereits im Café die wichtigsten Eckpunkte nochmals abgeschrieben und stieß auch bald wieder auf andere Mitstreiter. Ein mit Navi ausgestatteter Fahrer überliess mir seinen papiernen Track, aber auch der zerlegte sich im weiter anhaltenden Regen recht schnell. Meine Motivation, hier noch irgendeine für mich akzeptable Zeit zu fahren, war dahin, ich wollte nur noch nach Hause, wollte in die Badewanne und schloß mich nun für längere Abschnitte anderen Gruppen an. Die Route führte nun vermehrt über Wirtschaftswege und ich bin mir ganz sicher, daß die Landschaft reizvoll und sehenswert war, aber der weiter anhaltende Regen ließ mich das keines sonderlichen Blickes mehr würdigen. Mir war kalt, ich zitterte, konnte meine Finger kaum noch bewegen. Die wenigen Kilometer zur nächsten und letzten Kontrollstelle in Stölln, wo Otto Lilienthal seine Flugversuche unternahm, kamen mir vor wie eine kleine Ewigkeit. Nachdem die Startkarte gestempelt war fuhr ich auch gleich weiter und stieß auf eine kleine Gruppe der ich mich anschloß. Irgendwann musste ich kurz austreten, sagte Bescheid daß ich gleich nachkomme... und bog falsch ab um auf einem Waldweg zu landen Glücklicherweise waren dort einige Waldarbeiter die mich wieder auf den Weg Richtung Nauen dirigierten. Und mir empfahlen, dort die Bahn zu nehmen. Bitte? Ich bin doch heute schon 180km gefahren, was soll da schon passieren? Wie sehr ich erkennbar fror habe ich da wohl schon selber nicht mehr wahrgenommen.
Als ich nach dem kleinen Umweg wieder auf der Route war sah ich in wenigen hundert Metern Entfernung zwei Radfahrer und beschloss kurz zu warten, um mich ihnen anzuschliessen. Klaus, einer der Organisatoren, und noch ein junger Mann waren nun meine Begleiter Richtung Nauen. Klaus war gut aufgelegt, gesprächig und interessiert, wie es mir als Brevetneuling, denn so gefällt. Eigentlich ja richtig gut. Wenn nur diese endlose Kälte nicht wäre. Und dieses sch* Wetter. Die Suche nach einem schnellen, nochmal wärmendem Kaffee blieb erfolglos, ein kurzer Stop an einem Supermarkt war dann der Punkt, an dem die Kälte mich besiegte. Ich fing wieder an zu zittern, die Zähne klapperten, der Kiefer verspannte sich daß ich kaum sprechen konnte. Klaus versuchte noch mittels in das Trikot gestopfter Zeitung auszuhelfen, zog mir eine Plastiktüte unter den Helm aber alle Müh war umsonst, die nächsten Kilometer konnte ich kaum lenken, nicht richtig schalten, keinen Reißverschluss schließen oder einen Riegel aus der Tasche holen. Seinem Rat, vielleicht hier, nur wenige Kilometer vor dem Ziel, abzubrechen konnte ich dann doch folgen als wir an einer Tankstelle vorbeikamen. Dort spendierte er mir noch einen Schokoriegel und einen Kaffee und fuhr das Ding zu Ende. Ich weiß nicht, ob ich mich bedankt habe, so ganz bei mir war ich nicht, falls Du das also liest Klaus: Danke für Deine Unterstützung
In der Tankstelle trank ich einige Kaffee, wärmte mich auf und überlegte, mit dem Zug nach Hause zu fahren. Andere Mitstreiter, die dort ebenso Kaffee tranken und Pause machten, boten etwas gesprächige Abwechslung und zuletzt die grandiose Idee, doch meine Frau anzurufen was ich dann tat und sie mich dort, in Falkensee kurz vor Spandau, abholte.
Soweit bleibt an dieser Stelle nur noch, ein Fazit zu ziehen, die Fehler zu analysieren und es beim nächsten Mal besser zu machen:
Als Fazit stellt sich mir selber die Frage, bin ich enttäuscht, es nicht "geschafft" zu haben und im ersten Moment wäre die Antwort ein deutliches "Ja" gewesen. Zwei Tage später ist meine Antwort "Nein". Ich habe eine leichte Erkältung, vor allem Husten und noch heute, nach 4 Tagen, aufgrund der Kälte leichte Empfindungsstörungen in den Fingerspitzen. Wäre ich weiter gefahren, ich weiß nicht, ob ich heute nicht gänzlich flach gelegen hätte. Vermutlich. Bei allen Fehlern, wie vor allem der unzureichenden Kleidung: die Entscheidung war die richtige.
Was waren die Fehler und was kann ich besser machen:
1) Brevetfahren ist anders, braucht Erfahrung und ist nicht damit zu vergleichen, 100, 120 oder 150km mit dem Rennrad längs gut bekannter Strecken zu ballern. Orientierung und Navigation kosten Zeit, auch sind die Wege nicht durchgängig für Rennradtempo ausgelegt. Für Brevets jenseits der 200km gilt dies um so mehr und diese werden nochmals ganz andere Anforderungen stellen und Erfahrungen mit sich bringen.
2) Über die Anschaffung eines Navigationsgerätes habe ich nachgedacht aber noch keine Entscheidung treffen können. Die Zweifel überwiegen, nicht zuletzt aufgrund des eher seltenen Einsatzes dieses nicht ganz so billigen Gadgets. Als Alternative werde ich OsmAnd, eine Android Navigations-App mit Sprachausgabe, einem Test unterziehen.
3) Ein kleiner Rucksack mit Wechselwäsche, vor allem Unterhemd, Handschuhe, Socken sowie einer guten(!) Regenjacke, kann auch bei 200km sinnvoll sein.
4) Die Wettervorhersage irrt.
5) Technik vorher ausgiebig testen und sich mit ihr vertraut machen; einige Fahrer hatten unterwegs Probleme mit ihren gerade erst erworbenen Navis.
6) Klamotten vorher testen. Sind sie warm und vor allem: sind sie wasserdicht. Nicht nur bei Niesel- und leichtem Regen sondern richtig: über mindestens 2 Stunden im Regen, bei Wind und bei Kälte. Unter den widrigsten Bedingungen, die nur zu erwarten sind. Empfehlungen für Handschuhe und Überschuhe nehme ich gerne entgegen
7) Zum fahren in der Gruppe gibt es nichts zu sagen, was nicht schon 100x gesagt worden wäre. Ein Aspekt den ich, obwohl er auf der Hand liegt, nicht so deutlich realisierte ist, dass man aufgrund des niedrigeren Leistungsbedarfs auch ganz erheblich weniger Körperwärme produziert. Die Kleidung sollte hier also nochmals deutlich wärmer ausfallen.
Am 18. April findet der 300km Brevet von Berlin über Dahme, Lutherstadt Wittenberge und Wörlitz zurück nach Berlin statt. 300km. Ich werde dabei sein. Jetzt erst recht, denn: was soll da schon passieren?
Es sei schon jetzt verraten: das war das letzte Mal, dass ich mich auf eine Wettervorhersage verlassen habe oder mit irgendetwas rechne
Nachdem ich in der Nacht nur kurz und nicht sonderlich gut schlief, sogar davon träumte meine Startkarte vergessen zu haben, der Wecker ungnädig um 4.10 klingelte, machte ich mich gegen 5.15 auf den Weg zum Treffpunkt. Nabendynamo von Shimano mit cycle2charge Ladegerät waren bereits ausgiebig getestet und hatten sich als zuverlässig erwiesen. Das Wetter kühl aber erfrischend und der Duft des frühen Morgens ist ja ohnehin durch fast nichts zu ersetzen. Ich könnte Gefallen daran finden, wenn das denn nicht soooo früh wäre. Langärmeliges Unterhemd, darüber ein langärmeliges Trikot, Jacke, neonfarbene Windweste, Überschuhe sowie langfingrige Handschuhe hielten Körper und Gliedmaßen warm.
Aus dem tiefen Südosten der Stadt ging es, im fast autofreien Berlin, durch den Tiergarten, vorbei an der Siegessäule weiter nach Moabit zum Treffpunkt im Amstel House. Dort erst einmal zwei, drei Kaffee und zwei Bananen als zweites Frühstück, die Startkarte abgeholt und hier und da Worte gewechselt. Ich kannte ja niemanden
Insgesamt hatten sich 90 Fahrer angemeldet die, in drei Gruppen aufgeteilt, mit 10 Minuten Abstand losrollten. Sehr rasch war es 7.10 und ruhig und gelassen fuhr unsere Gruppe, zu der zunächst auch 2 Liegeräder gehörten, aus der Stadt heraus. Warum nicht wenige der Mitstreiter Rucksäcke mit sich führten, erschloss sich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht. 200km? Was soll da schon passieren? Dachte ich. Und irrte.
Nach rund einer Stunde hatten wir die Stadt verlassen und ich wartete noch ein wenig ab, wie sich das Tempo entwickeln würde. Der Wind blies merklich und wie immer von vorne, das Tempo blieb moderat, zu moderat, denn ich hatte mir unter Berücksichtigung einer kurzen Mittagspause sowie der Kontrollstellen vorgenommen, nicht später als 15 Uhr wieder in Berlin zu sein um mich der angepriesenen Lasagne zu widmen. Und ganz insgeheim hoffte ich wohl auch auf eine flotte Truppe Rennradler wie jene, mit der ich vor 3 Wochen eine 140km Runde drehen durfte. Bei der Gelegenheit Grüße an Sprintlooser, war ein netter Ausflug nach Buckow.
So fuhr ich alleine voraus, alles lief rund und fühlte sich richtig an. An der ersten Kontrollstelle, einem Golfplatz, holte ich meinen Stempel ab, nuckelte kurz an meiner eZigarette, und fuhr gleich weiter. Und es dauerte auch nicht lange, bis der erste Regen einsetzte. Und nicht mehr aufhörte. Eigentlich fahre ich sehr gerne bei Regen, liebe es wenn das Wasser spritzt und mag die Abrollgeräusche des Pneu auf nassem Asphalt. Okay, vielleicht habe ich einen leichten Schaden oder eine frühe Prägung; einer meiner ersten längeren Ausflüge, ich war etwa 12, mit meinem gerade erworbenem Allkauf-Rennrad endete im strömenden Regen. Walkman mit Saxon, Motörhead und Judas Priest auf dem Ohr tanzten die Endorphine Ballett )
Obwohl ich kein Navi hatte, gelang mir die Orientierung mittels der ausgedruckten Route recht gut, immer wieder konnte man auf den weiten Flächen Brandenburgs andere Radler sehen und sich auch so orientieren und durchhangeln. Gelegentlich schloss ich mich kleinen Gruppen an um doch wieder alleine weiter zu fahren. Derweil regnete es fast ständig, die Temperatur lag bei rund 4 Grad, Handschuhe, Überschuhe und Socken sogen sich langsam voll Wasser aber als "Körperklaus" merkte ich nichts.
Kurz vor Neuruppin habe ich mich kurz verfranst, stieß auf einen anderen Fahrer dem es ebenso erging, doch recht bald waren wir wieder auf der Route wo ich kurz darauf eine Gruppe traf der ich zuvor bereits begegnet war. In Wusterhausen, der nächsten Kontrollstelle die zugleich die Hälfte des Brevet markierte, galt es, die Startkarte in einem Geschäft stempeln zu lassen. So landete ich im örtlichen Museum wo es angenehm warm war und unterhielt mich eine Weile mit dem Pförtner. Wieder vor der Tür, noch gerade im warmen, schlug mir die ganze Kälte entgegen, jetzt merkte ich, wie nass meine Klamotten waren, und fing an zu frieren, wie nur selten zuvor. Die Zähne klapperten, die Füße wurden kalt, der Körper zitterte. Niemand anderes zu sehen, kein Fahrradfahrer, die Straßen menschenleer, die Motivation sank schlagartig von 100 auf 0. Eine Whatsapp-Nachricht an meine Frau um ihr mitzuteilen daß alles gut läuft, ich aber gerade friere wie ein Schneider. Sie schlug vor, nach Hause zu kommen. Nun, das hatte ich vor, die Hälfte war ja geschafft und von nun an war ich ja sozusagen auf dem Heimweg. Was soll da schon passieren?
Im Wusterhausener Café Melodie, wo ich auf einen anderen Teilnehmer traf, versuchte ich mich aufzuwärmen, zog Jacke, Trikot und Schuhe aus und machte dort meine ohnehin geplante Pause. Der Wirt erzählte von den kulturellen Sehenswürdigkeiten der Umgebung, für die Wunderblutkirche in Bad Wilsnack scheint er ein besonderes Faible zu haben und zeigte mir verschiedene Zeitungsberichte, ich genoss einen gute Knoblauchpfanne mit Salzkartoffeln. Warm wurde mir nicht, die Pause wurde deutlich länger als geplant, draussen zogen immer wieder andere Brevetteilnehmer vorbei. Ich musste weiter und zog meine noch immer nassen Sachen wieder an. In solchen Momenten definiert man "Ekel" nochmals völlig neu. Für alle Fälle und als Helfer in der Not hatte ich mir ein paar Thermopads für die Zehen besorgt, hoffte auf ein wenig Wärme aber das Ergebnis war nicht einmal als kläglich zu bezeichnen: die Pads versagten auf ganzer Linie und erzeugten, nicht einmal direkt auf der Haut, auch nur einen Hauch von Wärme.
Die ausgedruckte Route war zwischenzeitlich nicht mehr zu gebrauchen, voller Wasser zerfiel das Papier in viele Teile und Papierbrei. Vorsorglich hatte ich bereits im Café die wichtigsten Eckpunkte nochmals abgeschrieben und stieß auch bald wieder auf andere Mitstreiter. Ein mit Navi ausgestatteter Fahrer überliess mir seinen papiernen Track, aber auch der zerlegte sich im weiter anhaltenden Regen recht schnell. Meine Motivation, hier noch irgendeine für mich akzeptable Zeit zu fahren, war dahin, ich wollte nur noch nach Hause, wollte in die Badewanne und schloß mich nun für längere Abschnitte anderen Gruppen an. Die Route führte nun vermehrt über Wirtschaftswege und ich bin mir ganz sicher, daß die Landschaft reizvoll und sehenswert war, aber der weiter anhaltende Regen ließ mich das keines sonderlichen Blickes mehr würdigen. Mir war kalt, ich zitterte, konnte meine Finger kaum noch bewegen. Die wenigen Kilometer zur nächsten und letzten Kontrollstelle in Stölln, wo Otto Lilienthal seine Flugversuche unternahm, kamen mir vor wie eine kleine Ewigkeit. Nachdem die Startkarte gestempelt war fuhr ich auch gleich weiter und stieß auf eine kleine Gruppe der ich mich anschloß. Irgendwann musste ich kurz austreten, sagte Bescheid daß ich gleich nachkomme... und bog falsch ab um auf einem Waldweg zu landen Glücklicherweise waren dort einige Waldarbeiter die mich wieder auf den Weg Richtung Nauen dirigierten. Und mir empfahlen, dort die Bahn zu nehmen. Bitte? Ich bin doch heute schon 180km gefahren, was soll da schon passieren? Wie sehr ich erkennbar fror habe ich da wohl schon selber nicht mehr wahrgenommen.
Als ich nach dem kleinen Umweg wieder auf der Route war sah ich in wenigen hundert Metern Entfernung zwei Radfahrer und beschloss kurz zu warten, um mich ihnen anzuschliessen. Klaus, einer der Organisatoren, und noch ein junger Mann waren nun meine Begleiter Richtung Nauen. Klaus war gut aufgelegt, gesprächig und interessiert, wie es mir als Brevetneuling, denn so gefällt. Eigentlich ja richtig gut. Wenn nur diese endlose Kälte nicht wäre. Und dieses sch* Wetter. Die Suche nach einem schnellen, nochmal wärmendem Kaffee blieb erfolglos, ein kurzer Stop an einem Supermarkt war dann der Punkt, an dem die Kälte mich besiegte. Ich fing wieder an zu zittern, die Zähne klapperten, der Kiefer verspannte sich daß ich kaum sprechen konnte. Klaus versuchte noch mittels in das Trikot gestopfter Zeitung auszuhelfen, zog mir eine Plastiktüte unter den Helm aber alle Müh war umsonst, die nächsten Kilometer konnte ich kaum lenken, nicht richtig schalten, keinen Reißverschluss schließen oder einen Riegel aus der Tasche holen. Seinem Rat, vielleicht hier, nur wenige Kilometer vor dem Ziel, abzubrechen konnte ich dann doch folgen als wir an einer Tankstelle vorbeikamen. Dort spendierte er mir noch einen Schokoriegel und einen Kaffee und fuhr das Ding zu Ende. Ich weiß nicht, ob ich mich bedankt habe, so ganz bei mir war ich nicht, falls Du das also liest Klaus: Danke für Deine Unterstützung
In der Tankstelle trank ich einige Kaffee, wärmte mich auf und überlegte, mit dem Zug nach Hause zu fahren. Andere Mitstreiter, die dort ebenso Kaffee tranken und Pause machten, boten etwas gesprächige Abwechslung und zuletzt die grandiose Idee, doch meine Frau anzurufen was ich dann tat und sie mich dort, in Falkensee kurz vor Spandau, abholte.
Soweit bleibt an dieser Stelle nur noch, ein Fazit zu ziehen, die Fehler zu analysieren und es beim nächsten Mal besser zu machen:
Als Fazit stellt sich mir selber die Frage, bin ich enttäuscht, es nicht "geschafft" zu haben und im ersten Moment wäre die Antwort ein deutliches "Ja" gewesen. Zwei Tage später ist meine Antwort "Nein". Ich habe eine leichte Erkältung, vor allem Husten und noch heute, nach 4 Tagen, aufgrund der Kälte leichte Empfindungsstörungen in den Fingerspitzen. Wäre ich weiter gefahren, ich weiß nicht, ob ich heute nicht gänzlich flach gelegen hätte. Vermutlich. Bei allen Fehlern, wie vor allem der unzureichenden Kleidung: die Entscheidung war die richtige.
Was waren die Fehler und was kann ich besser machen:
1) Brevetfahren ist anders, braucht Erfahrung und ist nicht damit zu vergleichen, 100, 120 oder 150km mit dem Rennrad längs gut bekannter Strecken zu ballern. Orientierung und Navigation kosten Zeit, auch sind die Wege nicht durchgängig für Rennradtempo ausgelegt. Für Brevets jenseits der 200km gilt dies um so mehr und diese werden nochmals ganz andere Anforderungen stellen und Erfahrungen mit sich bringen.
2) Über die Anschaffung eines Navigationsgerätes habe ich nachgedacht aber noch keine Entscheidung treffen können. Die Zweifel überwiegen, nicht zuletzt aufgrund des eher seltenen Einsatzes dieses nicht ganz so billigen Gadgets. Als Alternative werde ich OsmAnd, eine Android Navigations-App mit Sprachausgabe, einem Test unterziehen.
3) Ein kleiner Rucksack mit Wechselwäsche, vor allem Unterhemd, Handschuhe, Socken sowie einer guten(!) Regenjacke, kann auch bei 200km sinnvoll sein.
4) Die Wettervorhersage irrt.
5) Technik vorher ausgiebig testen und sich mit ihr vertraut machen; einige Fahrer hatten unterwegs Probleme mit ihren gerade erst erworbenen Navis.
6) Klamotten vorher testen. Sind sie warm und vor allem: sind sie wasserdicht. Nicht nur bei Niesel- und leichtem Regen sondern richtig: über mindestens 2 Stunden im Regen, bei Wind und bei Kälte. Unter den widrigsten Bedingungen, die nur zu erwarten sind. Empfehlungen für Handschuhe und Überschuhe nehme ich gerne entgegen
7) Zum fahren in der Gruppe gibt es nichts zu sagen, was nicht schon 100x gesagt worden wäre. Ein Aspekt den ich, obwohl er auf der Hand liegt, nicht so deutlich realisierte ist, dass man aufgrund des niedrigeren Leistungsbedarfs auch ganz erheblich weniger Körperwärme produziert. Die Kleidung sollte hier also nochmals deutlich wärmer ausfallen.
Am 18. April findet der 300km Brevet von Berlin über Dahme, Lutherstadt Wittenberge und Wörlitz zurück nach Berlin statt. 300km. Ich werde dabei sein. Jetzt erst recht, denn: was soll da schon passieren?