Hallo liebe Community!
Ich bin seit etwa einem halben Jahr begeisterter Zwift Benutzer und liebe das Training am Indoor Trainer bei schlechtem Wetter und in kalten Jahreszeiten. Nun habe ich mit den dortigen Trainingsprogrammen schon beachtliche Fitness Verbesserungen erzielen können und meinen FTP über den letzten Winter von 2.8w/kg auf knapp 3.2w/kg steigern können. Wenn ich mit dieser Bestleistung auf einem flachen Kurs in Zwift 1 Stunde lang radle, komm ich meistens zwischen 35-37km weit. Benutze aktuell das gleiche Rad auf Zwift wie auch im "echten" Leben, das Canyon Ultimate (ohne Aero Felgen).
Nun bin ich mit diesem Rad auch schon wieder öfter Outdoor gefahren um zu sehen, was auf meiner alten Trainingsstrecke an Speed so an Verbesserung zu sehen ist. Leider musste ich feststellen, dass ich den Speed von Zwift bei weitem nicht auf den echten Asphalt bringe. Ich habe auf meinem Canyon Ultimate einen Wattmesser verbaut, welcher mit dem Indoor Trainer (Elite Turno) abgestimmt ist und +/- 1% in etwas das gleiche misst.
Wenn ich also in Zwift bei 3w/kg 36kmh Schnitt fahre (in der Ebene), dann sind es draussen gerade einmal 30-32kmh - also doch ein beachtlicher Unterschied wie ich finde. Dazu muss ich sagen, dass ich sogut wie alle Möglichen Sitzpositionen durch bin - nur Unterlenker, nur Oberlenker, extreme Unterlenker Position mit 90° angewinkelten Armen, ja sogar am Zeitfahrlenker lässt sich die Leistung nicht umsetzen. Habe meinen Vorbau schon komplett nach unten gesetzt und meinen Sattel etwas höher, um eine noch höhere Aerodynamik zu erzielen - ohne Erfolg. Ich bin 1,74cm groß udn wiege aktuell 70-71kg - die Daten sind in Zwift alle korrekt eingetragen.
Nun habe ich einige Kollegen die ebenfalls schon sehr lange auf Zwift unterwegs sind, welche mir allesamt gesagt haben, dass Zwift bei ihnen sehr ähnliche Ergebnisse liefert, zu dem was sie draussen an Leistung erbringen, somit die virtuelle Berechnung auf maximal 1-2 km/h Abweichung genau ist, oder sogar nahezu identisch.
Ich habe die Jahre davor immer ohne Wattmesser trainiert und meine Leistung immer anhand der Herzfrequenz gemessen - hier merke ich deutliche Vortschritte. So konnte ich meinen Speed auf meiner Hausstrecke um gut 2-3kmh Durchschnitt steigern, bei gleicher Herzfrequenz. Vergleiche ich diese Leistung (die Watt mal aussen vor gelassen) mit der HF die ich auf Zwift habe, komme ich dort ebenfalls auf eine deutlich höhere Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 5kmh.
Ich habe sogar Online mit dem Online Tool von Kreuzotter ausgerechnet, was ich in etwa an Leistung bringen muss um zB. auf einen Schnitt von 35km/h zu kommen - und sieheda dies deckt sich recht gut mit dme was Zwift berechnet!
Jetzt ist die Frage natürlich, mache ich etwas falsch oder übersehe ich etwas?
Einige Leute haben mir schon gesagt, dass Zwift keinen Wind berechnet und auch in Kurven nicht bremst- selbst dass habe ich schon versucht zu simulieren indme ich bei nahezu windstillem Wetter (1kt) und einer komplett ebenen geraden Strecke meine Watt und Geschwindigkeit verglichen habe - immer das selbe Ergebnis :-(
Bin ratlos - geht es Jemandem ähnlich?
LG Stefan
Die Erklärung ist sehr simpel. Vorher aber noch ein Wort zu den Kumpels, die in realiter gleiche oder ähnliche Ergebnisse erzielen wie auf Zwift: die sind Angeber, sie lügen oder sie messen auf der Straße anders, als bei Zwift. Abgehakt. Zweites Vorab: du solltest nicht mit Watt pro kg hantieren, sondern mit Watt. Was bei einer Person auf das selbe hinaus läuft, aber die für das folgende irrelevante Masse beinhaltet. Also bei 75 kg in deinem Fall etwa 225 Watt.
Nun die Erklärung, warum du auf der Straße selbst bei allerbesten Bedingungen bei gleicher Durchschnittsleistung nicht die gleiche Durchschnittsgeschwindigkeit erreichen kannst. Es gibt zwei "Effekte", die dafür verantwortlich sind.:
- Die ungleichmäßige Fahrweise
- Das "Seitenwindproblem".
am besten ist es, wenn man sich die separat an einem kleinen Modell veranschaulicht. Grundlage ist natürlich immer die Formel für die Gesamtleistung
Pges = (v^2 * c1 + c2 + mges * 109/4 + c3 * mges * a) * v
bei einer Fahrt von A nach A vereinfacht sich das Ganze auf
Pges = (v^2 * c1 + c2) * v worin c1 alles zusammenfaßt, was beim Luftwiderstand sonst getrennt angegeben wird (cw * A * schlagmichtot...) und hier sofort so umgerechnet wird, daß man mit km/h statt mit m/s rechnen kann. Die Werte für c1 und c2 liegen dann etwa bei 0,004 und 1,1. Bei 36 km/h käme also, wenn man keinen Gegenwind hat, nicht bremst und nach einer kurzen Beschleunigung 100 % gleichmäßig die 36 km/h fährt folgendes heraus: Pges = (1296 * 0,004 + 1,1) * 36 = 226 W.
Nun die Modellrechnungen:
Zu Effekt 1: "Ungleichmäßige Geschwindigkeit erhöht die Durchschnittsleistung"
Angenommen, du fährst 30 km mit einem Schnitt von 30. Ein Viertel der Strecke fährst du aber, wegen verschiedener Dinge (Ampeln ohne Bremsen, verwinkelte Streckenteile, wo man rollt und dabei sehr langsam wird, mäßige Steigungen usw.) nur 24 km/h. Dann mußt du die restliche Strecke mit 32,7 km/h fahren. Wichtig ist: Bremsen und Beschleunigen, Steigungen usw. werden vernachlässigt (für das Bremsen an Ampeln schlagen wir später nochmal was drauf). Beschleunigungen und zusätzlicher Aufwand für Steigungen sind Null-Summen-Spiele, die Rest-Bewegungsenergie fließt über den "finalen Bremsvorgang" beim Ankommen in A ein. Die Nebenrechnung spare ich mir, statt der bei absolut gleichmäßiger Fahrt resultierenden zu erwartenden 141 W kommen knapp 147 W raus, also 4 % mehr. Nun kommen noch die Energieverluste beim Bremsen hinzu: Wir rechnen 5 Bremsvorgänge von 30 auf 0, das macht ca. 3kJ pro Bremsvorgang, mal 5 macht 15000 J. Auf eine Stunde sind das 4,17 W. Also steigt der Mehraufwand auf 7%.
Zu Effekt 2: "Seitenwindproblem"
Dazu habe ich auch Modellrechnungen, die verwirren aber eher.
Basis ist folgende Überlegung: Modell ist ein Rechteck-Kurs, d.h. für unsere 30-km-Fahrt sind es 4 x 7,5 km. Annahme: Auf Teilstück A kommt der Wind genau von vorne, auf Teilstück C also genau von hinten und auf Teilstück B und D jeweils exakt 90° von der Seite, von links oder rechts spielt keine Rolle. Nun könnte man meinen, weil der Wind genau rechtwinklig von der Seite kommt, ist er irrelevant. Falsch. Aber selbst bei einer Pendelfahrt A - B - A mit genauem Gegen- bzw. Rückenwind sind es ca. 1 % Mehrleistung pro 1m/s Windgeschwindigkeit.
Aber nun: Der Hauptdenkfehler bezieht sich auf den Seitenwind. Probem 1: Der Seitenwind geht zusammen mit der Fahrgeschwindigkeit in die "Anströmgeschwindigkeit" vges folgendermaßen ein:
vges = wurzel(vfahrer^2 + vwind^2)
Der Denkfehler, der zur "Neutralitätsvermutung des Seitenwindes" führt, ist folgender: vges erzeugt eine Kraft Fges. Die muß aber wieder in ihre Komponenten zerlegt werden, und dabei kommt heraus, daß die für die Kraft Ffahrtrichtung maßgeblich Komponente wieder proportional zu vfahrer ist. Fehler: vor der Zerlegung in Kraftkomponenten, muß die Geschwindigkeit quadriert werden. Ergebnis: Statt der Vermuteten Kraft
F = vfahrer^2 * c1 kommt heraus
Fseitenwind = vfahrer * vges * c1
Bei 30 km/h Fahrgeschwindigkeit und 3 m/s Seitenwind macht das bereits einen Unterschied von 6,3%. Aber das ist noch nicht alles. Der Clou ist Problem 2: Die Angriffsfläche und die Form ändern sich durch die schräg-seitliche Anströmung. Die Formel muß also lauten:
Fseitenwind = vfahrer * vges * c2, worin c2 die veränderte Konstante durch die Veränderung von Form und Stirnfläche ist. Da kommen für den gedachten Fall nochmal 5 - 10% (genauer kann man das ohne Windkanalexperiment nicht sagen) hinzu.
Fazit: Auch an relativ "windstillen" Tagen mit sagen wir 1 m/s müssen wir auf den Seitenwindabschnitten mit einem Gesamtmehraufwand von ca. 10 - 12 % rechnen. Macht zusammen mit dem Pendelmehraufwand von oben ca. 5 - 7% Mehraufwand bei 1m/s = "gefühlt Windstille". Unter normalen Verhältnissen mit ca. 2,5 m/s (die letzten 3 Monate überwiegend deutlich mehr!) sind es also 12 - 18 %, zusammen mit Effekt 1 also etwa 20 - 35 %.
Für die Geschwindigkeit heißt das: Sie ist um etwa 5 - 10% unter der zu erwartenden, was ziemlich gut mit deinen Beobachtungen übereinstimmt.