Im Mittelklassesegment hat eigentlich kein Anbieter einen Vorteil, wenn er unnötig verteuert. Daher gehe ich davon aus, dass hier vernünftig kalkuliert wird.
Zu den Preisentwicklungen, die ich seit 1985 beobachte, kann ich sagen, dass ein 105er Bianchi (Golden Arrow) etwas um die 1100 DM gekostet hat, ein 600er ca 1500 DM.
Das Profirennrad mit Stahlrahmen lag bei Selbstaufbau im Bereich von 3000 DM sonst bis 4000 DM. Dann gab es technisch keine Steigerung mehr, sondern vor allem mehr Blingbling.
Radrenntaugliches Material (z.B. DA 7700 mit Reynolds 853) hat sich auch noch bis vor dem EURO in diesem Preisrahmen bewegt.
Die Preisspirale hat zeitgleich mit dem EURO vor allem mit der großen Systemisierung des Rennrades begonnen, ich würde hier grob die 00er Jahre als wichtigste Epoche anberaumen. In den 10ern war das Ding dann durch und ich bin aus der Konsumierung der aktuellen Rennradtechnik ausgestiegen.
Die Preistreiber waren dabei vor allem Systemlaufräder und Carbonteile aller Art. Gleichzeitig verschwand die lebenslange Herstellergarantie bei Carbonrahmen, die bei aktuellen Stahlrahmen noch immer gegeben wird.
Der nächste Schritt war dann die Elektronifizierung das Rennrades. Noch mehr Spezialteile, mit der fragwürdigen Option, irgendwann bei langen Ausfahrten nicht mehr schalten zu können.
Dass den Herstellern da allein ein Vorwurf zu machen ist, finde ich nicht.
Der Markt will das und kauft das. Und es gab zu allen Zeiten die Option, gutes und günstiges Material zu kaufen und zu fahren. Noch immer ist ein sechsfach Schraubkranz aus aktueller Produktion zu bekommen, können 36 Loch-Laufräder gespeicht werden und sind Stahlrahmen mit lebenslanger Garantie zu haben.
Dass dieses Material nicht (immer) renntauglich ist, ist mir klar.
Die UCI hat ein Gewichtslimit gesetzt, um die Technik sicher und bezahlbar zu halten. Darauf folgte die Aerowelle. Mich erinnert diese Show an die 90er Jahre, als die Technik-Diskussion derart viel Raum einnahm, dass keiner mehr groß über die Athleten nachdachte. Stichwort 98er TdF. Was als Großreinemachen und Neuanfang begann war eher der Anfang unsäglicher Jahre, in denen Kommentare wie "unglaubliche Leistung" einen seltsam ironischen Beigeschmack bekamen, der bis heute blieb. Scandium-Legierungen versus Carbonrahmen, Scheibenlaufräder versus Hochprofilfelge, Kleiderbügelrahmen versus Diamant, alles Diskussionen, die damals vermeintlich die Grundlage der Leistungen der Athleten tarnen oder erklären konnten.
Das ist halt so, wenn einer schnell ist, war das Fahrrad gut, wenn einer gute Fotos macht, hatte er eine gute Kamera.
Der Radsportenthusiast hat die Wahl, mündig mit der Technik umzugehen. Wer den neuesten geilen Shyce haben muss, sollte begreifen, dass er von Lieferketten und fremden Know-How maximal abhängig wird und dies auch monetär und/oder emotional (Warten auf Material und Service) bezahlt.
Komplizierte Technik macht abhängig, Low-Tech hält einem viele Möglichkeiten offen.
Persönlich habe ich mich mit der 10fach Tiagra am 00er Alurahmen aus diesem Dilemma verabschiedet, mein einziger Carbonrahmen ist gut, mein Verhältnis zu dem Werkstoff bleibt ambivalent. Gebrauchte Carbonteile sind mM mit Vorsicht zu genießen, da fehlte mir das Vertrauen vollständig.
Radrennen fahre ich keine (mehr) und die heutigen Amateure beneide ich nicht, um die Qual der Wahl des Werkzeugs. In den 90ern war dies besser standardisiert als heute, und dass das so ist, finde ich nicht gut.