Rennrad-News

Rennradreise – von Pescara nach Florenz
Ungeplant perfekt!

Wie kommt man zum Rennradfahren in die Abruzzen? Ungeplant. Auf ihrem Weg zur hohen Kunst der spontanen Rennradtouren-Planung hat Nathalie Schneitter wieder einen Meilenstein geschafft: Diesmal ging es ohne Vorbereitung auf eine Rennrad-Reise von Pescara nach Florenz, Routenplanung im Nachtzug und Gravel-Erfahrung inklusive. Klingt vielversprechend? Ist noch viel besser!

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Wie so oft, kommt es anders als man denkt: Als mein Kumpel Lukas und ich das Datum fixieren für unsere Rennrad-Tour im Herbsturlaub, haben wir die legendäre Route von Turin ans Mittelmeer im Kopf, immerhin reden wir schon fast zwei Jahre davon und unzählige Stunden haben wir bereits in die Routenplanung gesteckt. Doch dann macht uns der frühe Wintereinbruch einen dicken Strich durch die Rechnung: In den Alpen schneit es schon Mitte Oktober und anhaltend tiefe Temperaturen führen dazu, dass das Weiß auch bleibt. Somit wandert dieser Plan in die Schublade. Eine Art Déjà-vu – denn im Frühling, als wir schon einmal von Turin ans Meer starten wollten, fanden wir uns schlussendlich bei einer Gravel Tour in Slowenien wieder – langsam fragen wir uns, ob wir je Turin sehen werden.

# Viele der kleinen Straßen auf der Tour haben keinen festen Belag - aus der Rennradreise wird eine Allroad-Bike-Tour.
Diashow: Rennradreise – von Pescara nach Florenz: Ungeplant perfekt!
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# Los geht’s! In Pescara genießen wir nochmals die Sicht aufs Meer.
# Die Radtasche mit einem Gummizug auf der Satteltasche festgezurrt: funktioniert super!

Egal, ein neuer Plan muss her! In den Süden soll es gehen und die Abruzzen tönen verheißungsvoll, obwohl wir beide davon keine Ahnung haben. Wir buchen den Zug nach Pescara und verpacken unsere Räder in Fahrrad-Transporttaschen, sodass sie als Gepäckstück gelten und somit kostenfrei transportiert werden können (sogar im Schnellzug «Freccia rossa», wo sonst Fahrradverbot gilt). Neun Stunden dauert die Zugfahrt und wir nutzen diese, um uns in Pescara ein Hotel zu buchen und uns über die Gegend schlau zu machen. Planungsstand während der Anreise? Eine blanke Null!

Planungsstand während der Anreise? Eine blanke Null! Der Planungsjob war sonst immer heiß begehrt.

Das ist neu für uns. Bisher haben wir uns immer gut vorbereitet und der Planungsjob war heiß begehrt. Sich aufgrund vom Kartenmaterial vorzustellen, was einen erwartet, eine ungefähre Ahnung zu haben von der Topografie, die wichtigsten Ortschaften und möglichst viele einsame Nebenstraßen einplanen, das machte uns immer viel Spaß. Doch nicht dieses Mal, wir sind beide beruflich hart am Limit und finden keine Zeit und Muße für etwas Streckenplanung.

# Einsame Straßen, steile Steigungen: Es geht gleich richtig zur Sache.
# Knielinge anziehen dient als gute Gelegenheit mal eine Pause einzulegen.
# In den schmalen italienischen Dorfgassen trifft man auf Autos in Kleinstausgabe.

Zum Glück gibt’s Smartphones mit Suchmaschine, booking.com und Komoot und dazu bei jedem Sitzplatz im Zug eine Steckdose mit fürchterlichem Wackelkontakt, um das Phone zu laden. Mehr brauchen wir nämlich auch gar nicht. Das Hotel ist in ein paar Sekunden gebucht und der Gran Sasso Nationalpark mit dem Campo Imperatore als erstes Zwischenziel definiert. Wir lesen und staunen und merken, dass wir zwar schon unzählige Male in Italien im Urlaub waren, von den meisten Ecken des Landes aber keine Ahnung haben.

Kurz vor Mitternacht checken wir im Hotel ein und stellen den Wecker auf 7 Uhr in der Früh. Jetzt, Ende Oktober ist das Tageslicht ein limitierender Faktor und wir wollen früh los. Das Hotelfrühstück lassen wir sausen und gönnen uns dafür einen Kaffee und zwei Brioches in einer Bar in der Altstadt – man will sich ja den lokalen Gepflogenheiten auch etwas anpassen. Die Basis, die wir legen, besteht also in erster Linie aus Kaffee und etwas Weißmehl.

So richtig komme ich an diesem ersten Tag nicht in Schwung. Die ersten dreißig Kilometer geht es zwar gemächlich ins Landesinnere, doch dann steigt es über Tausend Höhenmeter stetig. Ich muss schon einen ersten Riegel einwerfen und die Freude an diesem Trip verlässt mich kurz. Warum genau tue ich mir das Ganze an? Die darauffolgende Abfahrt über groben Schotter lässt mich auch nicht erholen. Langsam aber sicher werden Erinnerungen an unseren Slowenien Trip und den Seebergsattel wach, wo wir uns in einen brutale Unterzuckerung gefahren haben.

Zum Glück finden wir nach rund 60 Kilometern ein Restaurant, das einzige an der Strecke heute.

Zum Glück finden wir nach rund 60 Kilometern ein Restaurant, das einzige an der Strecke heute. Ein Käsesandwich, ein Snickers und zwei Kaffee lassen meine Lebensgeister wiedererwachen. Zum Glück, denn die darauffolgende Fahrt über den Campo Imperatore, ein Hochplateau auf knapp 1800 m über Meer, ist landschaftlich einzigartig. Langsam, aber sicher geht uns aber das Tageslicht aus und auch die Temperaturen sinken. Wir finden in Assergi eine Unterkunft mit einem guten Restaurant und sind sehr zufrieden mit dem ersten Tag dieser improvisierten Reise.

# Gran Sasso – ein Traum für Radfahrer!
# Im Stau steht man hier höchstens mit Schafen und Ziegen.
# Geschafft! Die ersten 3000 Höhenmeter sind in den Beinen.

Für den zweiten Tag ist Regen gemeldet. Wir haben auf der Karte den Nationalpark Monte Sibillini entdeckt und uns gefällt der Name! Da wir ja keine anderen Pläne haben, entscheiden wir in Richtung Norden loszufahren. Wir fahren immer der Nase nach, und obwohl wir beim Frühstück eigentlich eine Route geplant haben, entscheiden wir uns zwischendurch immer mal wieder spontan und stellen die Route um.

So landen wir mehr oder weniger zufällig in Amatrice und realisieren schnell, dass hier das Erdbeben von 2016 gewütet hat. Die komplette Altstadt liegt noch immer in Trümmern, und obwohl wir die Bilder aus den Zeitungen kennen, sind wir über das Ausmaß der Zerstörung erschüttert. Diese Erschütterung begleitet uns nun für den Rest des Tages. Wir fahren durch zerstörte Dörfer, sehen, wie die Menschen in ihren improvisierten Häusern leben, die mehr nach Camping aussehen als nach einem richtigen Zuhause.

# Weiter geht es Richtung Norden. Das Wetter ist uns noch gutgesinnt.
# In Amatrice wird uns das Ausmaß der Erdbeben erst so richtig bewusst.
# In solchen temporären Bauten sind die Bewohner 5 Jahre nach dem Erdbeben noch immer untergebracht.
# Vom Regen und der Kälte eingeholt, wird es so richtig ungemütlich.

Die Planung für den heutigen Tag war ambitioniert, vor allem aufgrund der Regenprognose. Unterwegs sprechen wir verschiedentlich davon, relativ direkt nach Norcia zu fahren. Und dass es doch auch mal ganz schön wäre, im Verlaufe des Nachmittags im Hotel zu sein. Denkste. Nach der Mittagsrast in Amatrice stehen die Zeichen plötzlich wieder auf «maximale Dröhnung» und als es am Abzweig zum letzten, optionalen Pass noch knapp nicht regnet, ist klar, wir fahren das Ding auch noch. Kurz nach dem letzten Dorf auf dem Weg zur Passhöhe holt uns dann auch der Regen ein. 40 Kilometer sind es noch bis Norcia auf der anderen Seite des Monti Sibillini Nationalparks. Wir beißen uns durch, auch wenn wir in der nasskalten Abfahrt die Zehen kaum mehr spüren und freuen uns auf eine warme Dusche.

Die Hotelsuche gestaltet sich schwierig, denn die Zerstörung des Erdbebens holt uns hier wieder ein.

Als wir in Norcia einfahren ist das Tageslicht schon einige Zeit passé. Die Hotelsuche gestaltet sich schwierig, denn die Zerstörung des Erdbebens holt uns hier wieder ein. Ein grosser Teil der Altstadt ist auch in Norcia noch nicht wieder aufgebaut, viele Gebäude sind dick in stützende Gerüste eingepackt und Straßenschilder sind Mangelware und oftmals hinter den Gerüsten verdeckt. Es war ein langer, abwechslungsreicher und anstrengender Tag und weiter als in das sehr leckere Hotelristorante tragen uns unsere Beine nicht mehr.

# Kurz-kurz – sobald die Sonne lacht, wird uns warm ums Herz.
# Sonnengruß – Abendstimmung in Assisi.
# Assist ist eine Schönheit. Die Altstadt ist sogar für Italien außergewöhnlich hübsch, das will etwas heißen.

Wohin die Reise weitergehen soll, entscheiden wir beim Abendessen. Lukas entdeckt die Stadt Assisi auf der Karte und dahin wollen wir nun. Der heilige Franz von Assisi ist uns ein Begriff und ein wenig kulturelle Weiterbildung kann nicht schaden. Am dritten Tag auf dem Weg nach Assisi ziehen wir aber beide einen schwachen Tag ein. Die Kilometer und Höhenmeter wollen nicht schmelzen und auf eine Bar oder einen Supermarkt auf der Route hoffen wir vergebens. Bei Kilometer 77 muss dann ein Snickers her, ich befinde mich im totalen Hungertod.

Den Monte Subasio bezwingen wir zum Schluss dann aber doch auch noch und rollen in der Abendsonne in Assisi ein. Zweifellos ein Highlight auf unserer Reise. Die makellose und sehr gut erhaltene, historische Stadt ist ein krasser Kontrast zu der Zerstörung, die uns gestern und auch heute noch auf weiten Teilen begleitet hat. Jedes Zimmer unseres Hotels hat eine kleine Terrasse und wir genießen den Sonnenuntergang bis zum letzten Licht.

Zwei Tage haben wir noch vor uns. Langsam aber sicher müssen wir uns entscheiden, wo unsere End-Destination liegen soll. Wichtig ist vorrangig eines: Wir brauchen einen Bahnhof, um wieder mit dem Zug nach Hause zu kommen. Ein Blick auf die Karte reicht und wir entscheiden uns für Florenz: Pescara – Florenz, das tönt in unseren Ohren verheißungsvoll.

# Schotterstraßen der Extraklasse. Die Toskana weiß, wie's geht.
# Multiterrain heißt das Motto unserer Reise.
# Cortona ist eine unerwartet positive Überraschung. Die vielen schönen Cafés und Restaurants laden zum Verweilen ein.

Der vierte Tag bringt uns nach Cortona und nach den Provinzen Abruzzen, Latium, Marken, Umbrien in die Toskana. Auf der Karte sieht die Route des vierten Tages zunächst nicht sehr spannend aus, doch wir werden eines Besseren belehrt und legen in den Hügeln hinter Cortona spontan noch eine Zusatzschlaufe ein.

Wir kurbeln zum Schluss der Etappe einen langen, aber sehr angenehm ansteigenden Pass hoch. Er wird uns als praktisch verkehrsfrei in Erinnerung bleiben und die Ruhe auf der Auffahrt bei schwindendem Tageslicht lassen unseren Arbeitsstress vor den Ferien in weite Ferne rücken. Auf der Abfahrt brauchen wir das Licht am Fahrrad an Tag vier bereits zum dritten Mal. Wir rollen durch das pittorekse Cortana Richtung Hotel und machen Speed Sightseeing.

Die Hügel des Chianti Weingebietes und einige der Strade Bianche der Toskana gehören aufs Menu.

Die Route des letzten Tages ist schnell geplant. Die Hügel des Chianti Weingebietes und einige der Strade Bianche der Toskana gehören aufs Menu. Nochmals 150 Kilometer gibt es zum Schluss, quer durch liebliche und intensiv herbstfarbene Hügellandschaft, bevor es in Florenz direkt in den Radklamotten zum Aperitivo geht.

# Das Chianti Gebiet verspricht nicht nur Wein der Extraklassen, sondern auch himmlische Straßen.
# Die Reise bietet einen Mix zwischen schönstem Naturerlebnis und schönen italienischen Altstädten.
# Reifen pumpen mit Panorama in Cortona.
# Weinreben begleiten uns durchs Chanti Gebiet.

633 Kilometer und 13400 Höhenmeter sind wir in diesen 5 Tagen quer durch 5 Provinzen gefahren. Wir haben ein Italien gesehen, das wir so nicht gekannt haben, aßen wahnsinnig tolles italienisches Essen und fanden unsere Liebe zu ungeplanten Fahrradreisen. Unterwegs auf unbekannten Nebenstraßen, im Bewusstsein, dass wir sie nur einmal befahren werden: hier und jetzt.
Gut möglich, dass auch bei der nächsten Reise Turin-Mittelmeer wieder auf dem Programm steht und wir dann spontan doch woanders landen.

Rennrad Zen: Lehren aus Pescara-Florenz

Infos Rennradreise Pescara-Florenz:

Strecke und GPX Daten

Nathalie Schneitter hat die Rennradreise von Pescara nach Florenz in 5 Etappen aufgeteilt, die sich vor Ort bei der Planung ergeben haben. Natürlich lässt sich die Tour für weniger erfahrene Rennradreisende auch auf 7 Tage oder mehr splitten. Mit Ruhe- und Besichtigungstagen zu Beginn und Ende bekommt man Tourenstoff für 2 Wochen Bikeurlaub. Hier findet ihr die Collection Pescara-Florenz auf Komoot.

An- und Abreise

Nach Mailand und weiter nach Pescara gibt es gute Zugverbindungen. In den italienischen Schnellzügen müssen jedoch Personen und- Fahrrad-Plätze reserviert werden (oder die Fährräder in geeignete Taschen verpackt sein). Es lohnt sich den Zug im Voraus zu buchen am Schalter der SBB / ÖBB / Deutsche Bahn. Dasselbe gilt für die Heimreise.

Gepäck

Fürs Gepäck während der Reise empfehlen wir den Ortlieb Seatpack 11L. Wichtig ist, dass die Satteltasche so fest wie möglich festgezurrt wird, sodass sie nicht wippt. Unserer Meinung nach reicht für einen Trip im Sommer-Halbjahr ohne Camping eine Satteltasche fürs Gepäck. Eine kleine Tasche am Lenker empfehlen wir aber trotzdem für Handy, Sonnencreme und Brieftasche. Auch die Windjacke in der Lenkertasche hat sich als praktisch erwiesen. Die Radtasche kann mit einem Gummizug an die Satteltasche gebunden werden.

Unterkünfte

Hotel B&B Pescara, Pescara
Hotel Le Pegliare Del Gran Sasso
Hotel Albergo Benito, Norcia
Hotel Sole, Assisi
Hotel San Luca, Cortona
Hotel Ponte, Faenza (in der Nähe des Bahnhofes)


Beste Reisezeit

Ende Mai – Ende Oktober 


Ausrüstungs-Tipps

Beim Bikepacking gilt der Leitsatz „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“, denn jedes Gramm mehr muss man auch den Berg hinauf schleppen. Dicke Handschuhe, ein Stirnband und eine Regenjacke gehören zu jeder Jahreszeit ins Gepäck, ein Satz Radklamotten muss jedoch reichen. Fahrradkleider trocknen schnell und können am Abend im Hotel ausgewaschen werden. Ein Satz Freizeitkleidung empfehlen wir gerade in Italien auch, um trocken und gut riechend am Abend im Restaurant die hervorragende italienische Küche genießen zu können.

Inspirierend? Was sagt ihr zur spontanen Tour von Nathalie?


Über Nathalie Schneitter
Nathalie Schneitter startete ihre internationale Mountainbike-Karriere im Jahr 2004 mit dem Gewinn des Cross-Country-Weltmeistertitels bei den Juniorinnen. Seither ist sie Vollgas auf den Rennstrecken dieser Welt unterwegs. In Jahr 2008 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking und 2010 sicherte sie sich den Heimsieg beim Cross-Country-Weltcup in Champéry und 2019 wurde sie erste E-MTB Weltmeisterin der Geschichte. Vollgas gibt Nathalie auch neben der Rennstrecke: Sie lacht viel, ist bisschen verrückt und tanzt in jeder möglichen Situation. Auf Red Bull TV spricht sie den deutschen Co-Kommentar der MTB XC Weltcups und im Organisationsteam der Cycle Week in Zürich hat sie die Messeleitung.


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