Diskussion und Sonderfall: Dual-Pivot-Bremsen
Weil ich mir da selbst nicht sicher bin, jetzt mal was für die Physiklehrer und wahren Weisen unter uns: Die Berechnung des Gesamtübersetzungsverhältnisses einer Doppelgelenkbremse.
Gesamtübersetzungsverhältnis ist übrigens ein ziemlich schönes Wort.
Bei der modernen Doppelgelenkbremse haben wir es mit mehreren Hebeln zu tun, die sich gegenseitig beeinflussen.
Da gibt es den vorderen Bremsarm, den hinteren Bremsarm und die "Nockenübertragung" zwischen beiden zur Synchronisation.
Beim vorderen Arm ist die Sache noch einfach, der hat bei Shimano ein Hebelverhältnis von etwa 1,52 : 1:
Beim hinteren ist es auf den ersten Blick auch nicht schwierig, der kommt bei Shimano auf etwa 0,91 : 1:
Dann kommt aber der Gag mit der Synchronisierung, wo die Kraft vom vorderen Kraftarm auf dessen hinteren "Nocken" übertragen wird, bei Shimano mit 5,1 : 1:
Und zu allem Überfluss überträgt der "Nocken" des vorderen Bremsarms seine Kraft auf die Stellschraube des hinteren Bremsarms im Verhältnis 0,73 : 1:
(hier sind die Hebel nicht ganz korrekt eingetragen, in Wirklichkeit fluchten sie exakt)
Jetzt kann man da ewig rätselraten, messen, rechnen und interpretieren und ich muss zugeben, dass ich mir mittlerweile völlig unsicher bin, was am Ende herauskommt.
Eigentlich muss sich aber ergeben, dass beide Bremsarme mit dem gleichen Weg, also vermutlich auch mit dem gleichen Gesamthebelverhältnis, in Bewegung gesetzt werden, weil sie sich ja gleich schnell und gleich weit in Richtung Felge bewegen, wenn man am Bremshebel zieht (und die Bremse natürlich mittig ausgerichtet ist).
Hmm. Mal sehen.
Arm 1 (vorn): 1,52 : 1
Arm 2 (hinten): 0,91 : 1
Gesamtverhältnis Synchronisation: 5,1 x 0,735 = 3,75 : 1
Gesamtverhältnis Arm 2 (hinten) also 3,75 x 0,91 = 3,41 : 1, was aber völliger Quatsch sein muss. Zumal der hintere Arm bei einer Dual Pivot andersherum keinerlei Kraft auf den vorderen übertragen könnte, sondern im Grunde genommen nur die Rückstellfeder verformt und vielleicht noch die Kraft von Arm 1 am Bremsbelag begrenzt, weil die ganze Bremse samt eingeklemmter Felge dann theoretisch zur schwächeren Seite schwenken würde, was aber auch nicht passiert.
Also müssen Arm 1 und Arm 2 tatsächlich identische, am Belag wirksame Hebelverhältnisse haben.
Nochmal von vorn.
Arm 1: 1,52 : 1
Arm 2: 0,91 : 1
Hebelverhältnis Synchronisation ohne Einfluss "Arm 1": 0,735 : 1.
1,52 x 0,735 = 1,12
0,91 / 0,735 = 1,24
Das sieht nach der Lösung aus, aber wer kann sie mir wirklich schlüssig erklären?
Oder völlig anders?
Moment mal.
Wir haben im Rahmen der Synchronisation ja auch noch diesen Fall hier:
Also 17 / 39 mm = 0,436 : 1.
Nochmal wie im ersten Durchgang:
Arm 1: 1,52 : 1
Arm 2: 0,91 : 1
Synchronisation Arm 1 auf Arm 2: 5,1 x 0,735 = 3,75 : 1
Gesamtverhältnis Arm 2 demnach 3,75 x 0,436 = 1,64 : 1 ??
Oder da noch dessen von Arm 1 unabhängiges Übersetzungsverhältnis dazu, also vielleicht 1,64 x 0,91 = 1,49 : 1 ??
Beobachtung an völlig entspannter Bremse mit geöffnetem Exzenter:
Beide Arme bewegen sich exakt gleich schnell und gleich weit, wenn man am Hebel zieht.
Beobachtung Nr. 2:
Der hintere Bremsarm würde sich auch auf diese Weise bewegen, wenn die Zughülle an irgendeiner anderen Stelle gehalten würde, z.B. am Rahmen selbst, und allein der Innenzug zur Bremse/zum vorderen Arm verlaufen würde.
Das Hebelverhältnis des hinteren Arms allein hat also keinen Einfluss auf dessen Weg, sondern allenfalls auf seine Kraft. Die kann ich aber mit Hausmitteln nicht messen, obwohl mir da gerade ein Aufbau mit Montageständer und Feinwaage durch den Kopf geht...
Beobachtung Nr. 3 durch schlichtes Nachmessen:
Bei verschiedenen, völlig entspannten Doppelgelenk-Bremsen ergeben folgende Zugeinholwege (zwischen Bremsarm 1 & 2 gemessen) folgende Wege an beiden Bremsbelägen zusammen und damit auch die Übersetzungsverhältnisse bei der jeweiligen Belagposition:
105 SC (Beläge am unteren Anschlag): 13,1 -> 9,3 = 1,41 : 1
Ultegra 6500 (Beläge mittig): 12,8 -> 9,8 = 1,31 : 1
Dura Ace 7700 (Beläge am unteren Anschlag): 14,4 -> 10,3 mm = 1,40 : 1
Zusammen mit den Verstellwegen der Beläge ergibt sich daraus:
105 SC: 1,41 - 1,75
Ultegra 6500: 1,18 - 1,52
Dura Ace 7700: 1,40 - 1,80
Ergänzung:
Wenn der vordere Arm ein Übersetzungsverhältnis von ca. 1,52 : 1 hat und der hintere Arm sich exakt deckungsgleich bewegt, hat die ganze Bremse natürlich auch dieses Übersetzungsverhältnis.
Die Übersetzungen der vorderen Arme allein sind:
105 SC: 1,46 - 1,81 (passt zum Messergebnis)
Ultegra 6500: 1,28 - 1,65 (passt ebenfalls in etwa)
Dura Ace 7700: 1,28 - 1,65 (keine Ahnung, warum das so deutlich abweicht)