AW: Berliner Höllentouristen
Die Fahrt zum Boulanger mit seinen Baguettes morgens ist ein guter Einstieg. Das Dorf Bastard liegt am Ende einer kleinen Sackgasse tief unten im Tal, und der nächste Bäcker hat seinen Laden in Rimont ganz oben auf der Höhe. Zwei - zum Glück kurze
- Rampen mit jeweils deutlich über 10 Prozent Steigung stehen im Weg, bevor es erstmal wieder bergab geht und schließlich nur mäßige Steigung mich & meine Lieben noch vom Frühstück trennt. Bei gutem Wetter sind schon bei der Frühstücksfahrt im Süden die Berge bis kurz vor Spanien zu sehen. Bei schlechtem Wetter ist schon die nächste Kurve kaum zu finden. Das ist allerdings selten. Wir hausen in den Resten einer alten Scheune. Ulrike & ihre Familie haben die Bruchsteinmauern in jahrelanger Kleinarbeit wieder aufgebaut und sie gut bewohnbar gemacht. Das Obergeschoss ist der Schlafraum. Durch die Fenster leuchten uns die Sterne und der Mond ein. Im Erdgeschoss sind Küche und Bad. Die Dusche ist vor dem Haus, verbraucht keinerlei Heizenergie & liefert dafür mehr Erfrischung. Drinnen steht ein schicker alter Badeofen, der mit einer ordentlichen Ladung Holz innerhalb einer guten Stunde 80 Liter heißes Wasser schafft. Außer uns lebt in Bastard nur noch Peter. Er kam vor fast 30 Jahren Jahren aus Frankfurt und hat inzwischen sieben Pferde und unzählige Bienenvölker. Den Honig verkauft er. Die eingeborenen Bauern haben Bastard verlassen. Nach dem ersten Weltkrieg gingen die ersten, und die letzten Bewohner zogen in den 80-er Jahren ins Altersheim. Dann kamen die deutschen Urlauber. Und kamen immer wieder.
Bastard liegt am Nordrand der Pyrenäen zwischen Foix und St. Girons. Wanderer und Radfahrer sind da genau richtig. Einmal haben Ulrike, Katharina & ich gemeinsam eine Radtour mit Kinderanhänger gemacht. Ansonsten hatte Ulrike mehr Lust auf Wandern. Also sind sie & Katharina mit dem Auto zum jeweiligen Wanderstart aufgebrochen, und ich habe mit dem Fahrrad die Verfolgung aufgenommen. Als Rennrad-Revier sind die Pyrenäen ideal. Zahlreiche kleine & kleinste Straßen locken mit fantastischen Perspektiven & mal mehr, mal weniger Steigung. Das schlimmste, was vorkommt, ist rauer Asphalt, aber selbst der lässt sich noch ganz ordentlich fahren. Auch die Hauptstraßen sind gut fahrbar. Der Verkehr hält sich in Grenzen, und die Fahrbahn ist so breit, dass Autos auch bei Gegenverkehr überholen können. Nur bei großen Lastwagen wird's manchmal etwas enger, als mir lieb ist. Auch Flachfahrten sind drin. Ich bin dank Wind und gleichmäßigem Gefälle noch nie so lange am Stück mit 14er und 15er-Ritzel gefahren und in ziemlich genau einer Stunde mehr als 40 Kilometer weitergekommen. Wenige Kilometer nördlich von Rimont liegt die erste Pyrenäen-Kette. Sie hat drei Pässe, die zwischen gut 1200 und knapp 1500 Meter hoch sind. Sieben Wege führen hoch. Zur Wahl stehen zwischen durchschnittlich gut 5 und gut 11 Prozent. Letzteren Anstieg habe ich ausgelassen. Der steilste Kilometer hat 14 Prozent, und ein Schild dort warnt Autofahrer vor einer Stelle mit 18 Prozent. Oben am Passschild klebt ein Aufkleber von
www.quaeldich.de Die Aussicht ist grandios.
Vor allen Pässen halten Schilder speziell für Radfahrer alle wichtigen Informationen bereit: Strecke, durchschnittliche und maximale Steigung. Letztere allerdings bezieht sich immer auf ganze Kilometer. Kurze Stücke können immer noch deutlich steiler sein. Zusätzlich wird auf Extra-Schildern für jeden Kilometer Strecke die jeweiligen Steigungsprozente angesagt. Guter Service, aber zuweilen wirkt's etwas demoralisierend
Ich bin fast jeden Tag mit dem Rad unterwegs gewesen, meist allerdings nur 40 bis 80 Kilometer verteilt auf verschiedene Etappen. Höhepunkt meiner Pyrenäen-Ferien war der Tag mit der Fahrt zum Plateau de Beille. Nach einer kleinen Wanderung mit Ulrike & Katharina bin ich wegen erfreulich guter Beine übermütig geworden und von dort noch über den Col de Port, Massat & St. Girons zurück nach Rimont gefahren. Das waren am Ende dann rund 170 Kilometer mit bestimmt 2.500 Höhenmetern. Mit dem allerletzten Rest von Tageslicht bin ich wieder in Bastard eingetrudelt. Auf den Spuren der Tour de France ist noch reichlich Anfeuerung zu sehen. Den Löwenanteil bekommt Herr Contador. Er war auf dem Plateau de Beille dann ja auch schließlich der erste. Auch Voeckler, Vino und noch ein paar Stars sind häufig verewigt. Sogar Zidane wird gewürdigt. Am absolut häufigsten allerdings wettern die Straßenmalereien gegen les ours. Meine Recherchen ergaben: Es handelt sich nicht um ein amerikanisches Rennteam. Gemeint sind die Braunbären, die Naturschützer und Politiker aus Paris wieder in den Bergen ansiedeln wollen. Viele Bewohner der Pyrenäen haben gegen Bären als Nachbarn (vorsichtig ausgedrückt
) erhebliche Vorbehalte & nutzen die Tour de France-Fernsehbilder um ihr "Non aux ours" nach Kräften publik zu machen.
Ulrike hat auch auf dem Plateau de Beille ein paar Fotos fürs Forum gemacht. Hier ist das beste:
Zur Technik kurz noch: Mein Bergrad hat ganz gut gehalten & mich mit 12 bis 27 Zahn-Kassette überall hingebracht. Nur den Quäldich-Pass habe ich ausgelassen. Ich hatte nicht mal einen richtigen Platten. Nach dem einzigen Schlauchwechsel (ausgerechnet ganz am Anfang der Plateau de Beille-Etappe
) stellte sich heraus: Es hatte sich nur der Ventileinsatz gelockert. Ich hatte sogar den passenden Plastik-Schlüssel dafür mit. Ein paar schnelle Handgriffe hätten die zeitraubende Bastelei überflüssig gemacht.
Das Vorderrad brauchte zwei Mal Nachzentrierung. 24 anderthalb Millimeter dünne Speichen mit einer normal hohen Felge sind für mich & meine 85 Kilogramm wohl doch etwas zu knapp.
Langer Rede, kurzer Sinn: Wenn ich Ihr wäre, würde ich da auch mal hinfahren
Im Vorteil ist allerdings, wer wie Ulrike & ich passende Bekanntschaften hat. Auf dem Hinweg haben wir in Rheinland-Pfalz Station gemacht & auf dem Rückweg in einem französischen Dorf ein paar Kilometer nordwestlich von Genf (mit klarem Blick auf den Montblanc
). Auf dem Weg in die Pyrenäen liegt auch der Mont Ventoux. Da bietet sich natürlich auch ein kleine Pause mit Fahrradfahrt an
Was mich betrifft: Nächtes Mal werde ich's auch zum Col de Tourmalet und dem Col d'Aubisque schaffen. Beide liegen über 100 Kilometer westlich & sind deshalb nur von Boniperti oder mit Hilfe von zusätzlichen Transportmitteln zu erreichen.
joaquin schrieb:
ich bilde mir ein bei einer entgegenkommenden gruppe ein höllentouristen-trikot gesehen zu haben. und ein tandem.
Ich war nicht beteiligt. Mein Stoker hat sich wieder selbständig gemacht
Trotzdem stünde einer gemeinsamen Ausfahrt nichts im Wege - wenn ich dann wieder Zeit habe. Vielleicht schon am kommenden Sonntag...