AW: Schienbein
Liebe Sportskollegen,
ich bin zwar kein Orthopäde, aber in der Neurologie ärztlich tätig, und habe als Hobbysportler schon beide hier angesprochen Beschwerdebilder durchlitten. Ich habe bei mir selbst folgende 2 Diagnosen gestellt, die IMHO auch hier in den Posts beschrieben werden, wobei ich um es vorweg zu nehmen mit der Diagnose "Periostitis" zurückhaltend wäre.
2 Beschwerdebilder sollten differenziert werden:
1) die Läufer hier im Thread beschreiben Schienbeinschmerzen nach häufigem Lauftraining. Eine der häufigsten Laufverletzungen ist das sog.
Tibialis-anterior-Syndrom. Hierbei handelt es sich um eine Druckerhöhung in der Muskelloge des Muskulus Tibialis anterior. Dieser Muskel verläuft außerhalb der Schienbeinkante und ist von einer derben Bindegewebsfaszie, die kaum nachgibt ummantelt. Kann man sich wie eine pralle Wurst vorstellen, die von einer unnachgiebigen Haut umspannt ist. Durch diese Loge verlaufen Nerven und Arterien. Kommt es u.a. durch sportliche Überlastung (Joggen, Fußmärsche, Fußballspielen u.a.m.) zu einer Schwellung und Druckzunahme in dieser Faszie wird die Blutzufuhr zu den feinen Blutgefäßen welche die Nerven mit Blut versorgen (Vasa nervorum) unterbrochen und es kommt zu Schmerzen, typischerweise mit Zunahme bei Belastung und Besserung bei Ruhe. Bei der Untersuchung sind Druckschmerzen entlang der äußeren Schienbeinkante typisch.
Im Extremfall mit Nervenschädigung kann es zu Taubheitsgefühlen am Fußrücken und eine Schwäche der Fußheber kommen.
Es wurden in "Runners World" ein Läufer beschrieben, der so empfindliche Schienbeinkanten hatte, daß er nicht mal mehr ein Bettlaken auf der Schienbeinkante aushielt.
Zur diagnostischen Absicherung dieses häufigen Krankheitsbildes kann eine Druckmessung im Muskelkompartment erfolgen, diese Methode ist aussagekräftiger als MRT, CT, EMG oder ENG.
An Therapiemaßnahmen ist am wichtigsten die Reduktion der ursachenauslösenden Bewegung, i.d.R. eine Reduktion des Laufumfangs zu nennen. An medikamentösen Therapien werden Cortisoninjektionen, Schmerzmittel, Lokalanästhetika, muskelentspannende Medikamente und sogar Antidepressiva empfohlen. Ferner wären auch physikalische Therapiemaßnahmen wie Elektrostimulation (TENS), Wärme- und Kälteanwendungen, Iontophorese, Magnetfeldtherapie, Ultraschall und Bandagen zu nennen. Als Ultima ratio bleibt die operative Spaltung der Faszie, bevor irreversible Schädigungen der Nerven aufgetreten sind.
Ich hatte selbst ein Tibialis-anterior Syndrom als ich relativ rasch mein Laufpensum auf mehr als 100 KM die Woche gesteigert habe. Bei täglichem Training war ich nach 3 Monaten zwar recht flott unterwegs, mußte aber wegen meines chronischen Tib.-Anterior Syndroms das Laufen weitgehend aufgeben. (Medikamente futtern und weiterlaufen habe ich nie gemacht, da ich der Meinung bin, daß Schmerzen ein sinnvolles Warnsignal des Köpers sind, der mir sagen, ich muß was ändern, sonst schade ich mir). Sobald ich wieder lief, begannen die Schienbeinschmerzen erneut. So bin ich zum Radsport gewechselt, den ich 10 Jahre schmerzfrei ausüben konnte, bis ich letzten Herbst mein Jahrespensum abrupt von etwa 4500 Km auf
10 000Km/a steigerte und Krafteinheiten am Berg forcierte.
Womit wir zum
2. Krankheitsbild kommen, dem "
Reizknie" des Radfahrers. Die Knieschmerzen des Radfahrers können natürlich auch verschiedene Ursachen haben, über eine Chondropathia Patellae, Meniskusschäden ,Morbus Osgood Schlatter, Patella-Stressyndrom u.a.m.
Bei mir sind es belastungabhängige Schmerzen an der Spitze der Kniescheibe beim Radfahren und beim Treppensteigen sowie Skifahren.
Nach meiner Literaturrechere ist es bei Radfahren häufig eine Reizung an der Tuberositas Tibiae, also an der Stelle, an der die Patellar-Sehne am Schienbein ansetzt. Therapie: Reduktion der Belastung, Schmerzmittel. Da ich Schmerzmittel ablehne, hat bei mir das Treten kleiner Gänge mit hoher Frequenz aus der Hüfte heraus dazugeführt, daß ich trotz der Beschwerden 800 - 1000 Km / Monat trainieren kann.
Davon abzugrenzen ist eine Überlastung des Knorpels der Kniescheibe (Patella-Streß-Syndrom) dem (neben einer anlagebedingten Knorpel-"erweichung") eine Verkürzung der Quadricepssehne zugrunde liegt. Therapie: Dehnen der Quadricepsmuskulatur, Kräftigung der ischiocruralen Muskulatur, Kräftigung des M. Vastus medialis,
Sattel höherstellen.
Alle Maßnahmen zusammen (
Sattel höher, Ischio`s kräftigen, Quadriceps-Dehnen, Überlastungen durch zu harte Krafteinheiten vermeiden) denke ich, kann man pauschal bei beiden Knie-Beschwerde-Bildern beim Radfahren empfehlen.
Ich hoffe ich konnte etwas den Unterschied zwischen Laufsport bedingten Schienbeinbeschwerden und Radsport bedingter Kniebeschwerden rausarbeiten. (Ich kenne beides aus eigener Erfahrung nur allzugut
)
Cu Mark