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Reisebericht (k)ein Brevet in England, Januar 2013

Renn-Andreas

Aufrecht oder liegend, das ist hier die Frage!
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Wie schon in den beiden vorangegangenen Jahren, wollte ich im Januar 2013 den »Willy Warmer« fahren. Wer den Begriff googelt, wird in die Irre geführt, denn Willy bezieht sich auf den Willesden Cycling Club.

In Kontinentaleuropa geht die Saison von März bis August, dazwischen gibt es praktisch keine Brevets. Nur im Dezember einen sehr flachen in Holland. Die Briten sind da anders gestrickt. Auf der Insel beginnt die Saison Neujahr und geht bis Weihnachten. Eigentlich fahre ich im Winter nur kurze Strecken, da ich weder Kälte über mehrere Stunden mag noch das Fahren bei Dunkelheit - aber im Rahmen so einer Veranstaltung fahre ich auch gerne eine Winterbrevet. Der Willy Warmer ist traditionell gut besucht, es gab in diesem Jahr fast 100 Anmeldungen.

Die Wettervorhersagen waren nicht wirklich gut, neben Kälte war auch leichter Schneefall vorhergesagt. Besser als stundenlanger Starkregen. Also bin ich hin. Und zwar mit dem Zug. Leider wohl das letzte Mal, denn für Fahrkarten, die ab 2013 gekauft werden, gelten neue Gepäckbestimmungen im Eurostar. Keine Seite der Tasche darf länger als 85 cm sein, und das ist nur mit Faltrahmen machbar.

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Fast genau sieben Stunden dauerte die Hinfahrt. Um keine Zeit zu verlieren, habe ich das Rad diesmal schon im Zug aus der Tasche genommen und die Laufräder eingesetzt. Das hatte außerdem den Vorteil, dass bei der Aktion niemand mein Gepäck nehmen und weglaufen konnte.

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Angekommen in London-Mitte, erwartete mich mittelstarker Schneefall, der im Laufe des Tages immer weiter abschwächte und gegen drei Uhr aufhörte.

Aber erstmal musste ich raus aus der Stadt, denn der Brevet fand in einem Vorort statt, etwa 35 km westlich der Stadtmitte. Und genau für mich passend war der Grand Union Canal, dessen Treidelpfad fast durchgehend mit dem Rad befahrbar ist.

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Auf dem Weg zum Kanal (gut ein Kilometer) habe ich ein Fahrrad als Krankenwagen gesehen.

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Der Grand Union Canal.

Der Weg war Abschnittsweise gut geräumt, an einigen Bereichen lag auch eine dünne Schneedecke. Mit der nötigen Vorsicht waren auch diese Stellen gut passierbar, obwohl ich das Rennrad genommen habe, und das hat nur 23 mm breite Slicks. Hier der pittoreske Markt an der Camden-Schleuse.

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In Großbritannien ist das Wohnen in Booten nicht ungewöhnlich. Diese Boote bildeten sogar eine kleine Siedlung mit einer Art Vorgarten neben dem Weg.

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Vielleicht wäre dieses Rad einfacher gewesen bei dem Wetter :)

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Optimal für den Wassersport: Von der Haustür direkt in den Kanal.

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Ring with to tings.

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So kam ich recht gut voran. Das schöne am Kanal ist auch, dass er niedriger ist als die meisten Straßen und man deswegen wenig vom Verkehrslärm hört.

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Je weiter ich mich von der Innenstadt entfernte, desto weniger geräumte Abschnitte gab es. Hier wurde der Schnee auch noch mehrere Zentimeter tief, was mit dem Rennrad kaum noch zu bewältigen war.

Also habe ich den Kanal bei Wembley verlassen und bin noch etwa fünf Kilometer über Hauptstraßen zu meinem ersten Zwischenziel gefahren. Einer britischen Extremradfahrerin, die vor langer Zeit als erste Britin 100.000 km nur mit Brevets absolviert hat (natürlich im Laufe mehrerer Jahre). Nach einem netten Plausch ging es noch 15 km weiter nach Chalfont St. Peter, wo der Brevet starten sollte und wo ich eine Schlafgelegenheit über ein Übernachtungsnetzwerk gefunden hatte. Die Fahrt dahin war weitgehend problemlos, aber eine schmale, etwa zwei Kilometer lange Straße hatte es in sich. Viel Schnee, etwas Eis, sehr vorsichtiges Fahren war angesagt. Das letzte Stück bergab musste ich schieben.

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Einsame Landstraße im Hügelland

Nach eine heißen Dusche bei meinem Gastgeber kurzer Blick ins Internet: Der Brevet wurde vor zwei Stunden abgesagt. Doof. Was sollte ich machen, meine Rückfahrt war gebucht, also hatte ich quasi einen freien Tag. Das sinnvollste erschien es mir, Fahrrad zu fahren. Und warum nicht ein Stück der Brevet-Strecke? Den Track hatte ich ja.

Also bin ich am Samstag um acht Uhr los Richtung Westen.

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Die Hauptstraßen waren frei von Schnee und Eis, man konnte sie völlig problemlos befahren.

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Ein dickes Fell hat seine Vorteile.

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Bergab habe ich trotzdem sehr viel gebremst, denn Eis auf der Fahrbahn war nicht auszuschließen. Man hatte mich vorgewarnt, ich solle englische Krankenhäuser unbedingt vermeiden...

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Die Strecke ging allerdings auch über kleinere Straßen, und die waren weder geräumt noch gestreut. Und das hieß langsam. Ganz langsam. Es ist schon interessant, wie wenig seitliche Kräfte beim Radfahren wirken, solange man keine Kurven fährt. Beim Versuch, etwas kräftiger zu treten, drehte das Hinterrad sofort durch, so glatt war es. Und trotzdem bin ich nicht seitlich weggerutscht. Für 2,4 km habe ich dann 20 Minuten gebraucht. Und es ging fast nur flach oder bergab.

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19. Januar 2013

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Gleiche Stelle, 22. Januar 2011.

Nach 55 km habe ich mir in dem Café, in dem sonst die zweite Kontrollstelle ist, ein Sandwich frisch zubereiten lassen. Danach ging es praktisch denselben Weg zurück, aber unter Vermeidung der schneebedeckten Straßen. Der Umweg machte aus den 2,4 Kilometern 3,9, die weitgehend bergauf gingen - und trotzdem war ich sechs Minuten schneller.

Wieder zurück in Chalfont habe ich bei meinem Gastgeber einen Tee getrunken und mein Gepäck eingesammelt, um noch 13 km zu einem anderen Gastgeber zu fahren, der näher an London wohnt. Denn mein Zug am nächsten Tag ging schon um kurz nach acht und es gibt in den meisten Londoner Vororten sonntagmorgens keine Züge. Nur die U-Bahn, und die fuhr nicht wegen Bauarbeiten. So waren die 10 km näher am Stadtzentrum sehr hilfreich.

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Der Weg führte wieder über die schmale, zwei Kilometer lange Straße, über die ich am Vortag nach Chalfont gekommen war. Der steile Abschnitt war einigermaßen geräumt und befahrbar, dafür gab es einige glatte Stellen. Zum Glück war das Eis relativ stumpf.

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Während ich in einem kleinen Anbau geschlafen habe, stand mein Rad (rechts) neben dem Rohloff-Reiserad des Gastgebers.

Am nächsten Morgen hatte ich es gut 3 km zur Overground (praktisch eine S-Bahn), die mich in 40 Minuten nach London brachte.

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Dort kam das Rad in die Tasche und die Mitnahme im Eurostar und ICE war völlig problemlos. Wegen defekter Züge und Tempolimits in Frankreich und Belgien dauerte die Fahrt eine gute Stunde länger als geplant, war aber sonst ohne Probleme.

Grüße
Andreas
 
Respekt! Ein schönes Abenteuer und typische Randonneursmentalität. Es ist wie es ist, also macht man das beste draus. Andere hätten vermutlich 3 mal den Rechtsanwalt bemüht, wegen fehlender oder zu später Züge, späte Absage des Events, mangalhafte Schneeräumung..:)
 
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