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Wunder(bare) Brevetberichte

Liebe Kollegen,

ich habe über meine Erfahrungen von meiner Teilnahme an der diesjährigen Mittelgebirge Classique in einem anderen thread berichtet.
Die Mittelgebirge Classique ist zwar kein Brevet, sondern ein unsupported Ultradistanzrennen, aber die Organisatoren haben das so super und liebevoll organisiert und geplant dass es trotz der großen Herausforderung aufgrund des Streckenprofils von 1070km/22.000HM es ein einziger Traum war diese Strecke zu fahren.
Ich habe die MC mental als Brevet gefahren und nicht im strengen kompetitiven Sinne gegen andere Fahrer. Ich war mir selber schon Gegner genug :).

Grüße
 
Letzte Woche sind Olaf (@redfalo), Peter Z. (@BiBaBalu), Peter S. (@forensisch) und ich (Gerhard = @_Gerd_ ) von der Brevet Selbsthilfgruppe Frankfurt das Midnight Sun Randonnée 1200 Brevet in Schweden/Norwegen zum Polarkreis gefahren.
Anbei mein Versuch die Erlebnisse in Worte zu fassen.


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Die Midnight Sun Randonnée - Ein unvergessliches Abenteuer auf dem Rad

Idee

Mein Plan, zum zweiten Mal am Paris Brest Paris Brevet teilzunehmen, wurde von einem Vorschlag meines Randonneur-Kumpels Olaf von der Brevet Selbsthilfegruppe Frankfurt im Frühjahr 2023 kurzentschlossen über Bord geworfen. Er schlug vor, stattdessen an der Midnight Sun Randonnée 1200 in Skandinavien teilzunehmen. Lass uns zum Polarkreis fahren, meinte er. Ein kurzer Blick auf die Website mit den epischen Bildern überzeugte mich sofort. Bald darauf schlossen sich auch Peter Z. und Peter S. von der Brevet Selbsthilfegruppe Frankfurt unserem Vorhaben an.

Mein eigentlicher Saisonhöhepunkt 2023 war die Mittelgebirge Classique, auf die ich 99% meiner Vorbereitung konzentriert hatte. Angesichts der vermeintlich "einfachen" Bedingungen der Midnight Sun Randonnée mit 1.200 km und weniger als 10.000 Höhenmetern erwartete ich keine große Herausforderung. Ich war eher besorgt, dass nur drei Wochen zwischen der Mittelgebirge Classique und der Midnight Sun Randonnée liegen würden, und ich möglicherweise nicht genügend Zeit zur Regeneration haben würde.

Das Wetter am Polarkreis könnte ein Problem darstellen, aber günstige Wettervorhersagen ließen hoffen. Wir hatten zwei Übernachtungen in Hattfjelldal nach etwa 450 km und in Jäkkvik nach etwa 780 km geplant, an letzter jedoch ohne Verpflegungsmöglichkeiten. Falls notwendig wollte ich an der letzten Kontrolle ca. 120km vor Ziel noch einmal etwas schlafen.



Was ist die Midnight Sun Randonnée?

Der Veranstalter Florian schreibt folgendes:

Das Ultra-Brevet Midnight Sun Randonnée ist eine 1.200 Kilometer lange Rundfahrt über die skandinavische Halbinsel zwischen den Städten Umeå in Schweden an der Ostsee und Mo-I-Rana in Norwegen an der Nordsee. Die Strecke führt entlang von Flusstälern, Seeufern und Fjorden. Sie durchquert ausgedehnte Nadelwälder und schneebedeckte Berge. Sie überquert auch den Polarkreis. Da die Veranstaltung zur Sommersonnenwende stattfindet, werden die Teilnehmer 24 Stunden Tageslicht erleben. Die Veranstaltung findet in den Provinzen Västerbotten und Lappland in Schweden und Helgeland in Norwegen statt.

Kontrolle 1 bis 3 folgen dem Seensystem des Ume-Flusses. Kontrolle 4 bis 5 überquert die skandinavische Gebirgskette. Kontrolle 6 bis 7 folgt dem Ranfjorden und bringt Sie dann zum Polarkreis. Kontrolle 8 bis 9: Aufstieg durch das Junkerdal-Tal zum höchsten Punkt der Strecke. Kontrolle 10 bis 11 folgen der Vindel flussabwärts bis zum Ziel in Umeå an der Ostsee.



Anreise

Die Anreise und deren Planung gestaltete sich turbulent. Ursprünglich war eine Anreise per Bahn geplant, aber aufgrund von Gleisbauarbeiten in Schweden konnten keine Tickets frühzeitig gebucht werden. Wir wollten deshalb ca. 2 Monate vor dem Brevet auf einen Flug umschwenken. Als allerdings der Codeshare-Flug von Lufthansa mit SAS ohne Angabe von Gründen storniert wurde, war Olaf plötzlich ohne Flug, denn für seinen Radkoffer gab es angeblich keinen Platz mehr. Olaf entschied sich schließlich für die Anreise mit dem Auto zusammen mit den Kollegen Peter und Peter. Zwei volle Tage würden sie brauchen für die Fahrt von Mainz bis Umeå.

In der Nacht, ca. 5 Stunden bevor ich zum Flughafen aufbrechen wollte, wurde es dann auf einmal aufregend. SAS stornierte den Flug Stockholm-Umeå per SMS komplett, und buchte mich nach einer Stunde automatisch auf einen Flug um, der mich erst einen Tag später, am Renntag selber, ankommen lassen würde. Leider war SAS am Wochenende telefonisch überhaupt nicht erreichbar.
Letztendlich hat mich Lufthansa dann auf eine andere Verbindung umbuchen können, die kurz vor Mitternacht am ursprünglichen Reisetag ankommen soll. Erst am Flughafen in Frankfurt erfuhr ich dann endlich, dass auch mein Radkoffer tatsächlich bis Umeå mitgenommen werden kann. Endlich glaubte ich daran dass ich starten werde können. Und am Montagmorgen traf ich dann endlich auf meine Mitfahrer im Hotel zum Frühstück.



Der Start

Der Start des Brevets war für Montag um 23:07 Uhr festgesetzt, die offizielle Sonnenuntergangsuhrzeit. Auch wenn die Sonne so nah am Polarkreis- kurz vor der Sommersonnenwende - nicht wirklich untergeht.

Kurz nach dem late check-out am frühen Nachmittag, noch im Hotel, machte sich Aufregung breit, da aufgrund von Bauarbeiten die ersten beiden Etappen geändert wurden. Plötzlich stand ich vor der Herausforderung, gezippte GPX-Tracks auf meinen Wahoo per Handy zu laden. Ich bereute es, dass ich dies vorher nicht geübt hatte. Doch letztendlich habe ich es geschafft. Durch die Änderungen wurde die Strecke länger, und betrug nun insgesamt 1226 Kilometer.

Da der Start erst am späten Abend stattfand, mussten wir den ganzen Tag über die Zeit totschlagen. Wir genossen einen kurzen Nachmittagssnack auf einem Gehöft, etwa 3 Kilometer vom Start entfernt, und am Abend gab es dann noch ein gemeinsames Essen. Der Start lag etwa 10 Kilometer westlich von Umeå. Es war eine gute Gelegenheit, sich noch einmal zu stärken und die letzten Vorbereitungen zu treffen.

Während des Montages war es sehr warm, aber gegen Abend wurde es überraschenderweise doch relativ kühl. Wir wurden etwas unsicher ob wir nicht doch noch eine warme Schicht zusätzlich hätten einpacken sollen.

Punkt 23:07 Uhr war es dann so weit - der gemeinsame Start gen Westen erfolgte. Mit einer Mischung aus Aufregung und Vorfreude begannen w ir unsere Reise auf den endlosen Straßen Skandinaviens.

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Tag 1: Umeå – Hattfjelldal – ca.465km

Das Brevet startete bei strahlendem Sonnenschein und klarem Himmel kurz vor Mitternacht.
Es war sehr ungewohnt, dass es nie dunkel wird. Die Landschaft war genauso wie man sich Schweden vorstellt. Dichte Wälder und viele malerische Flüsse, Wasserfälle und Seen, mit gelegentlichen Gehöften dazwischen. Je weiter wir gen Westen kamen, desto seltener wurden die Versorgungsmöglichkeiten.

In einer schnellen Gruppe erreichten wir eine für mich ungewohnt hohe Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 30 km/h, und wir absolvierten die 200 Kilometer in einer Bruttozeit von nicht einmal 7:45 Stunden. Mein absoluter Rekord für eine 200km Brevet Strecke.

Bei Kilometer 320 begann der angekündigte Schotterabschnitt. Unerwarteterweise war der Schotter jedoch tiefer als erwartet, was die „Trennscheiben“-fahrer zu einigen Flüchen veranlasste.
Meine 42-mm-Reifen kamen gut auf den etwas fester gefahrenen Autospuren zurecht, aber wenn man aufgrund überholender Autos auf den Randstreifen ausweichen musste, wurde es ziemlich wackelig und der Puls schoss in die Höhe.

Wir lernten auch eine Eigenheit der schwedischen Autofahrer kennen. In den städtischen Gebieten und auf den größeren Überlandstraßen zeigen die Schweden eine rücksichtsvolle Fahrweise und überholten uns mit großem Abstand. Wenn uns jemand knapp überholte, war es ohne Ausnahme ein deutsches Wohnmobil. Auf den langen und monotonen Verbindungsstrassen, insbesondere auf den Schotterstraßen, drücken die Schweden jedoch gerne aufs Gas, um voranzukommen. Das führte immer wieder mal zu ansteigenden Puls.

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Gleichzeitig mit dem Schotterabschnitt begannen auch die Höhenmeter. Die Anstiege wurde steiler, und der Höhenmeterfaktor 5, änderte sich nun teilweise auf 20 (=Höhenmeter pro 100km / 1000).

Nach der Kontrolle in Kittfjelldal bei etwa Kilometer 365 begann es dann stärker zu regnen und unsere Hoffnungen trocken durchzukommen wurden zu nicht gemacht. Wie üblich, zögerten wir das Anziehen unserer Regenkleidung immer weiter hinaus. Und auf einmal waren wir pitschnass und mussten mit nassen Schuhen und Hosen weiterfahren.

Inzwischen hatten wir auch gelernt, welche Fahrer im Prinzip das gleiche Bruttotempo wie wir fuhren. Man traf diese Kollegen immer wieder an den Kontrollen oder am Straßenrand, selbst wenn die Fahrgeschwindigkeit selber unterschiedlich war.

Unser ursprüngliches Vierer-Team wurde gleich zu Beginn des Tages in zwei Zweier-Teams zerrissen, aufgrund leicht unterschiedlicher Bruttogeschwindigkeiten.

Ärgerlicherweise habe ich feststellen dürfen, dass mein Wahoo Navigationsgerät sich nicht mehr laden lässt. Das war bereits das zweite Mal trotz IPX7-Zertifizierung. Zuerst der Bolt V1, und jetzt der V2. Zum Glück hatte ich meinen alten Bolt V1 als Backup-Gerät dabei. Allerdings war das Laden nur noch bei sehr diffiziler Steckerpositionierung in völliger Ruhe möglich. Das bedeutete, dass ich jetzt navigationsmäßig nur von Kontrolle zu Kontrolle fuhr und das Navi an jeder Kontrolle wieder aufgeladen werden musste. So hat es bis zum Ziel funktioniert, war aber ärgerlich.

Dann erreichten wir die norwegische Grenze und plötzlich wurden die Straßen etwas holpriger und schmaler, und alles wirkte irgendwie wildromantisch. Ein Mitfahrer erklärte mir, dass die Schilder beim Grenzübergang sinngemäß bedeuteten: "Hier beginnt die Märchenstraße".

Nach etwa 23 Stunden erreichten wir die Kontrolle in Hattfjelldal, unsere geplante erste Übernachtung. Das Zimmer war sehr einfach und leider komplett überheizt, da der Vormieter den Heizstrahler im Bad angelassen hatte. Ich hatte keine Nerven mehr, um das Zimmer zu wechseln, da ich die wenige Zeit zum Ausruhen nutzen musste.



Tag 2: Hattfjelldal – Jäkkvik – ca. 330km

Gleich zu Beginn des zweiten Tages starteten wir mit einer anständigen Steigung, die uns in eine Art Hochland führte und mich an die Alpen erinnerte, jedoch begleitet von Nieselregen. Es war die passende Atmosphäre für diesen Abschnitt.

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Schon bald darauf stießen wir auf die E6 - die berühmte Traumstraße zum Nordkap. Doch wie es bei solch beliebten Straßen oft der Fall ist, jeder will sie befahren. Die E6 war für norwegische Verhältnisse deshalb stark befahren, wenn es auch im Vergleich zu Deutschland immer noch überschaubar war. Und die E6 sollte uns von nun an rund 150 km begleiten. Bis kurz nach dem Polarkreis.
Endlich erreichten wir auch die Nordsee, in Form des langen Ranfjords. Die salzige Meeresluft lag in unseren Nasen und verlieh der Umgebung eine besondere Atmosphäre.

Nach der Kontrollstelle bei Mo-I-Rana bogen wir wieder ins Landesinnere ab und begannen den langsam ansteigenden Weg zum Polarkreis, der stetig steiler wurde. Gleichzeitig stiegen die Temperaturen kontinuierlich an und erreichten unerwartete 30 Grad Celsius. Es gab weit und breit keinen Schatten, aber wir lagen zum Glück gut in der Zeit, und konnten uns langsam nach oben kurbeln.

Leider musste ich inzwischen feststellen, dass ich bei einer der vorherigen Kontrollen meine Sitzcreme vergessen hatte. Nun musste ich gute 600 km ohne auskommen, und durfte nun testen, wie gut ich ohne die gewohnte Sitzcreme zurechtkommen würde. Und wieder kurz darauf, als ich meine Wasserflaschen auffüllte, bemerkte ich, dass ich den Messlöffel für die Dosierung meines Maltodextrin/Isomaltulose-Pulvers auch verloren hatte. Es schien, als hätten sich einige unglückliche Umstände gegen mich verschworen.

Das Ladeproblem meines Wahoos, das Fehlen der Sitzcreme und des Messlöffels bedeuteten eine zusätzliche mentale Belastung auf der restlichen Strecke. Es war zwar ärgerlich, aber sollte mich nicht davon abbringen das Ziel in time zu erreichen.

Unterwegs entdeckten wir eine Art Café-Gasthaus, in dem wir uns mit einer Cola, einem Stück Kuchen und einem Eis stärken konnten. Die E6 war offensichtlich ein stark frequentiertes Touristengebiet, was sich auch in der besseren Versorgungslage zeigte.

Nachdem wir die Kontrolle am Polarkreis passiert hatten, durften wir die hart erkämpften Höhenmeter durch eine rasante Abfahrt genießen. Leider überfiel mich auf dieser Abfahrt urplötzlich eine große Müdigkeit, und ich hatte Probleme meine Augen offen zu halten. Das war äußerst gefährlich, denn obwohl wir teilweise mit 60-70 km/h bergab fuhren, überholten uns immer noch Lastwagen.

Dann bogen wir endlich von der E6 ab, und es erwartete uns die nächste Herausforderung in Form einer steilen Rampe bei drückender Sonne ohne Schatten. Diese Anstrengung munterte mich zwar etwas auf, aber während der darauffolgenden 600 Höhenmeter war ich immer noch so müde, dass mein Mitfahrer Peter Z. alleine weiter zur nächsten Kontrollstelle fuhr, während ich mich langsam den Berg hinaufquälte.

Die anschließende Hochebene erinnerte mich sehr an Schottland. Einfach wunderschön, und die tiefstehende Sonne tauchte die Landschaft in ein zauberhaftes Licht.

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An der Kontrollstelle am Campingplatz in Vuoggatjålme traf ich wieder auf Peter Z., aber wir trennten uns erneut, da ich meine Unterkunft erst weitere 40 km entfernt in Jäkkvik gebucht hatte, während er an der Kontrollstelle etwas schlafen wollte.
Mitten in der Nacht stieß dann Olaf, der uns immer mit etwas Abstand folgte, zu mir in die Unterkunft und wir beschlossen, gemeinsam am Morgen weiterzufahren. Dies gab mir etwas mehr Zeit, mich auszuruhen und neue Energie zu tanken.



Tag 3: Jäkkvik – Åmsele – ca. 309km

Wir hatten uns alle vier verabredet, uns in der Nähe unserer Cabin zu treffen, um gemeinsam weiterzufahren. Doch irgendwie hatte Peter Z. unseren vereinbarten Treffpunkt verpasst und war zu weit gefahren. Trotzdem konnte ich Peter Z. nach einigen km einholen, und ab da fuhren wir wieder gemeinsam weiter, während Olaf und Peter S. einzeln weiter fuhren.

Es ging das Gerücht um, dass wir, wenn wir es noch am Vormittag zur Kontrollstelle in Arjeplog schaffen würden, wir mit einem reichhaltigen Frühstücksbuffet belohnt würden. Während diejenigen, die später ankämen, nur einen Wrap erhalten würden. Deshalb fuhren wir zügig bis zur Kontrolle und konnten unsere Bäuche a`la all you can eat vollschlagen.

Leider hatte Peter S. es nicht rechtzeitig zum Buffet geschafft. Ob das der ausschlaggebende Grund war, wissen wir nicht, aber er beschloss, an dieser Kontrollstelle aufzuhören und den Bus nach Umeå zu nehmen.

Schon auf dem Weg nach Arjeplog, und erst recht danach fing es an fast ununterbrochen zu regnen. Zwischendurch gab es sturmähnliche Böen mit starkem Niederschlag die uns fast vom Rad wehten. Bis auf die letzten 100 km sollte uns der Regen fortan begleiten, wenn auch meistens eher gemäßigt.

Früher wollte ich unbedingt am Length of Sweden Brevet teilnehmen. Das LoS Brevet führt 2.200 km von ganz im Norden bis in den Süden von Schweden. Jetzt weiß ich, dass ich dieses Brevet nicht fahren werde. Schweden ist landschaftlich sehr schön, aber den ganzen Tag relativ eben durch Wälder und an Seen entlangzufahren, und die einzige Abwechslung besteht darin ob es regnet oder nicht – da kann ich mir attraktivere Möglichkeiten zum Radfahren vorstellen.

Und dann kam endlich die lang erwartete Geheim-Kontrolle. Und was für eine Überraschung! Es gab eine Feuerstelle, an der Hot Dogs, selbstgebackene Zimtschnecken und eine Banane gereicht wurden. Und der Regen hatte gerade etwas nachgelassen. Die Stimmung war im Aufwärtstrend.

Inzwischen haben wir mehrfach erfahren dürfen, dass wir mit einer gar nicht so kleinen Gruppe gleichschneller Randonneure unterwegs waren, und es daher bei den Kontrollen immer wieder eng wird, was Schlafplätze betrifft. Vielleicht war das der Grund, warum ich mich mit einer 3er-Gruppe spanischer Rennradfahrer auf ein kleines Rennen eingelassen habe und ich erfreut feststellen durfte, dass ich auf den letzten Kilometern noch etwas mehr Substanz aufweisen konnte, um sie etwas abzuhängen. Allerdings erwiesen sich die spanischen Kollegen als sehr smart, und hielten sich nicht zuerst mit dem Essen auf, sondern kümmerten sich zuerst um einen Schlafplatz – die letzten.

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Zuerst waren wir etwas enttäuscht, aber dann erfuhren wir, dass es noch zwei weitere Räume gab. Zwar waren die Betten nicht bezogen, aber wir hatten den Raum für uns ganz allein, inklusive unserer Fahrräder. Das war in Ordnung.


Tag 4: Åmsele – Umeå – ca. 120km

Am nächsten Morgen gab es eine Überraschung. Frederik, ein Belgier der schon viele Jahre in Schweden lebt, und den wir gleich am ersten Tag kennengelernt hatten, trat plötzlich aus einer Hütte und gesellte sich zu uns zum Morgenkaffee.

Frederik ist ein sehr guter und etwas schnellerer Fahrer als wir, so dass wir ihn immer wieder aus den Augen verloren haben. Er hatte an der zweiten Kontrolle schon für 4h geschlafen, als wir weiterfuhren. Zusätzlich hatte er kurz vor dem Polarkreis sein Handy unterwegs liegenlassen und wartete über 2,5 Stunden darauf. Trotzdem konnte er wieder zu uns aufschließen.

Spontan beschlossen wir, die restlichen 120 km gemeinsam zu fahren. Und wir wollten zur Öffnungszeit um 8 Uhr am ca. 50km entfernten Supermarkt ankommen. Dafür gab es dann frisch gebackene Zimtschnecken zum zweiten Frühstück.

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Wie üblich zogen sich die letzten Kilometer etwas hin, aber als wir das Meer schon riechen konnten, wussten wir, dass es nur noch wenige Kilometer sein werden. Und dann endlich durften wir den Fluss Umeälven das letzte Mal überqueren, um das Zentrum von Umeå und das Scandic Plaza Hotel, unser Ziel, zu erreichen. Eine unerwartete Baustelle bescherte uns noch einen kleinen Umweg, aber dann konnten wir glücklich unseren letzten Kontrollstempel abholen.


Resumee

Die MSR 1200 war für mich persönlich härter als ich es erwartet hatte, aber das lag mehr an meinem Fokus in der mentalen Vorbereitung als am Brevet selbst.

Was das Wetter betrifft, kann man sagen, dass wir für eine Fahrt zum Polarkreis unterm Strich einiges Glück hatten. Im Vorjahr gab es teilweise Schnee, aber wir blieben davon verschont und hatten stattdessen mehr mit der Hitze zu kämpfen.

Landschaftlich war es ein einziger Traum, auch wenn sich Schweden manchmal etwas in die Länge zog. Der Aufwand für die An- und Abreise sollte nicht unterschätzt werden.
Mal sehen, vielleicht komme ich noch mal wieder …
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehr schöner Bericht über MSR. Mit dem Wetter hatte ich mehr Glück, hatte nur ein wenig Regen vom Polarkreis bis zur nächsten Kontrolle.
 
Gestern war ich mal wieder DIY unterwegs. Letztes Jahr hatte ich, auf dem Weg zur Arbeit einen niederländischen Randonneur unterwegs von Boekelo ins Sauerland getroffen (und ihm auf den Track zurück geholfen). Da ich mal wieder nach einer Strecke suchte (wollte zwar nicht 600 sondern nur 200km fahren)schaute ich mir den Track einfach mal an, stellte fest, dass dieser fast an meiner Haustür vorbei geht, und kürzte ihn, wohlwissend nicht ganz fit zu sein, Richtung Niederlande zurecht. Heraus kam diese Strecke.

Also fuhr ich morgens gegen 9 Uhr los und kam soweit auch gut vom Fleck, auf den ersten 50km hatte ich einen 23er Schnitt.
Danach wurde es immer wärmer (über den Tag sollte das Thermometer auf 29° ansteigen)und bei etwa 100km schrie mein Körper nach der ersten Pause. Sowohl Füße als auch hintern wollten nicht so recht.

Kurze Zeit später dann noch ein Stopp beim Edeka, Flaschen auffüllen. Danach lief es erstmal wieder, über die niederländische Grenze (ich genieße es jedes mal bei den Nachbarn zu fahren, läuft, wohl auch durch höhere Strafen, wesentlich entspannter ab). Daher einfach entspannt weiter gerollt bis kurz hinter der Grenze nach Deutschland.

Hier spürte ich wieder Füße und Gesäß (an ersteren waren die Socken zu warm, der Ledersattel ist es für mich auf langen Distanzen nicht so, entweder schmerzt der Hintern oder die Weichteile schlafen ein, wandert ans geplante Lastenrad, da sitze ich dann aufrechter)und vertrat mir etwas die Beine. Durchaus schöner Fleck.

Die letzten 50km wurden dann zäh, zum einen Landstraße, also nicht besonders attraktiv, zu anderen meldete sich mein Körper. Zum Glück war der Unterschied zwischen abkürzen und durchziehen nicht groß, sonst hätte ich wohl darüber nachgedacht. Also ging es weiter bis Reken und dann, ich wollte die bekannte "Rennstrecke" hier in der Gegend nicht nutzen, auf eine geplante Änderung des Tracks durch den Wald. Hätte ich aber auch gemusst, da die Straße derzeit auch noch saniert wird (natürlich weiterhin ohne Radweg und Blitzer, mehrere Unfälle mit Radfahrern reichen anscheinend nicht, aber das ist ein anderes Thema).

Im Wald dann nochmal eine kleine Pause.

Und dann rollte ich überwiegend bergab in der Dämmerung nach Hause, der Supernova Scheinwerfer, übrigens Grund für Rahmentasche und Top Tube Bag statt Lenkertasche, ist super und sorgt für erhöhte Sichtbarkeit im Vergleich zum IQ-X, der auch schon nicht schlecht ist. Das Fernflicht brauchte ich an dem Tag nicht, leistet aber beim Pendeln (durch den Schichtdienst fahre ich mehrmals die Woche nachts)gute Dienste.

Nach etwas über 11 Stunden war ich dann, vollkommen erschöpft aber glücklich, wieder zu Hause. Sattel habe ich heute getauscht und schaue dann morgen mal ob sich mein Pro Sattel mit kurzer Nase besser macht.
 
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