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Aus Schrott mach neu, Teil 4: Der tragische Tscheche, ein Übungsprojekt

Knobi

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Renner der Woche
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Verehrtes Forum, liebe Gemeinde!
Nach einer gewissen Untätigkeit in eigener Sache ist es nun an der Zeit, einen der vielen aus guten Gründen ungeliebten Rahmen dieser Welt aus der hintersten Werkstattecke wieder ans Tageslicht zu holen und ihm zu einem Leben in Freiheit zu verhelfen.

Vermutlich irgendwann gegen Ende meiner Studienzeit erwarb ich einen geschweißten Stahlrahmen angeblich mittlerer Güte eines tschechischen Herstellers im Ausverkauf, weil mein damaliger Gios keine entspannte Sitzposition zuließ und ich ihn nicht im Alltag zersemmeln wollte (was ich dann natürlich trotzdem tat).
Der dunkelrotbraunmetallicpulverbeschichtete Tscheche wurde erstmal mattschwarz, bekam viele schwarze Teile bevor die Carbonwelle überhaupt losgerollt war und begleitete mich einige Jahre als Freizeit- und Trainigsgerät, aber ich mochte ihn nie. Das war einer dieser Rahmen, die sich einfach nie "richtig" anfühlen und auch immer irgendwie langsamer waren, als sie hätten sein sollen; beim Nachmessen fand ich einen rechts und links um ca. 3 mm unterschiedlich langen Hinterbau und korrigierte das erstmal mit der Feile. Außerdem passte die Gewichtsverteilung bei mir nicht, der Rahmen war ein typisches Kind der 90er "vorne zu lang, hinten viel zu kurz".
Vom ursprünglichen Aufbau gibt es leider keine Fotos, der war auch langweilig.

Aber behinderte Kinder soll man ja schließlich auch liebhaben, und da traf es sich gut, dass mein damaliger, aus ebenfalls guten Gründen chronisch führerscheinloser Nachbar ein Verkehrsmittel brauchte, das nichts kosten durfte. Etwas breitere Reifen gingen mit einer anderen Gabel gerade noch so irgendwie, durchgehende Schutzbleche aber nicht, also kam ein Satz der unsäglichen SKS Raceblades dran, die bei ernsthafter Nässe eigentlich zu garnichts gut sind. Die Beleuchtung lief über einen Walzendynamo, der immer wieder Probleme mit rostigen Lagern bekam; ein billiger, aber sinnvoll ausgedachter Heckträger machte Packtaschen möglich, die mein Nachbar niemals benutzte.
Ansonsten kamen an dieses Rad all jene Teile, die ich nie so richtig leiden konnte - und machten gemeinsam jenseits aller Kompatibilitätsvorgaben einen guten Job. Neue Farbe gab es natürlich auch, allein schon wegen der anderen Gabel - den Namen des neuen Fahrers durfte ich aber nicht draufschreiben, weil er ihn (im Gegensatz zu jedem anderen) wirklich überhaupt nicht lustig fand. Das fand ich hart und schrieb es genau so auf die Rohre.



Nach drei Jahren konsequenter Vernachlässigung kam das Rad zwar vollkommen verdreckt, aber erstaunlich unbeschädigt zu mir zurück und harrte im dunklen Keller einer ungewissen Zukunft. Mit neuem Dynamo und Scheinwerfer setzte ich es schließlich zwei Sommer lang in einer Nachttrainingsgruppe ein, die ein guter Freund von mir gegründet hatte und die innerhalb kurzer Zeit auf über zweihundert völlig freiwillige Mitglieder angewachsen war - der einzige Tourenplaner und vor allem auch der einzige Fahrer blieb allerdings ich.




Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände des zuvor erwähnten Freundes wurde das Rad schließlich geschlachtet und hat viele Teile für ein anderes, ungewöhnlich hastiges Schrottprojekt gespendet:
https://www.rennrad-news.de/forum/t...o-stadtrad-rostiger-teilemix-mit-gold.149575/
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Also blieb nur der Rahmen, und sollte sich für seine nächste Aufgabe deutlich verändern.



Natürlich werden sich einige von euch völlig zu Recht fragen: Warum wieder ein Schrottprojekt? Warum baut der nicht neu?
Nun, das tue ich aus Gründen!
Zuerst einmal soll mein (mehr oder weniger) geliebter unbekannter Franzose endlich mal eine Lackierung bekommen und langfrsitig auch dem ständigen Einsatz als Verkehrsmittel entgehen, also brauche ich ein ordentliches Rad zum Fahren, um das es nicht wirklich schade ist und das sich ohne großes Nachdenken aus Bestandsteilen zusammenstecken lässt. Naja, mehr oder weniger jedenfalls.
Andererseits stehen zwei muffenlose Rahmenbauprojekte in den Startlöchern, für die ich lieber noch ein wenig üben möchte.

Also los.
 
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Am Anfang stand die Hinterbauverlängerung mit eigens dafür ausgedachten Ausfallenden, die wir schon vor drei Jahren für ein ähnliches (aber schöneres) Projekt von @ta22os lasern ließen. Bei mir lagen sie in der Ecke und kamen erst beim letzten Umzug wieder hervor, genau zur rechten Zeit.






Also schnell markiert und die alten abgesägt:






Wie man so eine Operation eigentlich machen müsste, wenn die Originalteile bei großer Hitze mit Messinglot eingesetzt wurden und man schonend arbeiten möchte, hat @ignatz mit mir hier schon demonstriert:
https://www.rennrad-news.de/forum/threads/pogliaghi-neuaufbauprojekt.127083/page-2
Das war mir aber zu langwierig und ich nahm einfach eine Flex mit Trennscheibe von passender Breite. Davon gibt es keine Fotos, aber mit etwas Vorsicht geht das wirklich gut und man muss anschließend nur noch wenig feilen.

Für die neuen Ausfallenden habe ich dann wieder meine "Richtschienen" und einen alten Radsatz verwendet; das erste Ausfallende kann man aber auch vorher einlöten und grob ausrichten, dann wird es nicht so fummelig.






Anschließend sah das schon ganz gut aus und ich musste nicht viel zurechtbiegen.




Dafür konnte der Rahmen jetzt zum ersten Mal ansehnliche, auf beiden Seiten gleich aussehende Übergänge bekommen: Original war eine Hinterbauseite ordentlich "gekugelt" und an die Ausfallenden angeformt, die andere oben plattgedrückt und unten einfach überhaupt nicht nachbearbeitet. Deshalb haben die neuen Ausfallenden auch so lange "Zungen", um die Sitzstreben einfach das hässliche Stück weit absägen zu können. Auf der rechten Seite erkennt man gut die "brutale" Wandstärke der Kettenstreben; der Rahmen ist auch wirklich relativ schwer.






Das Lot zeigt hier natürlich nicht die Spaltbreite (keine Sorge, das passte ganz gut), sondern wurde anschließend nur mit den wesentlich breiteren Ausfallenden einigermaßen rund zurechtgefeilt.

 
So, und jetzt kommt's.




Das völlig unbeschädigte Oberrohr musste weichen, um weiche Übergänge statt Muffen ausprobieren zu können.
Und damit es auch gleich richtig spannend wird, habe ich dafür das dünnwandigste Rohr verwendet, was im Altbestand zu finden war: Nur 0,55 mm Wandstärke an den Enden und gerade mal 8 cm endverstärkte Bereiche, an beiden Seiten gleichmäßig lang. Keine Ahnung, wie dick es in der Mitte und was es überhaupt ist, aber es ist wirklich verdammt leicht: Nicht mal die Hälfte des Originalteils, bei 28,6 anstelle von 25,4 mm Durchmesser.




Das alte Rohr habe ich möglichst knapp rausgesägt und die Reste einfach runtergefeilt. Einbrandstellen der originalen Schweißnähte gab es, aber die werden ja vom dickeren, neuen Rohr überlappt.






Die Gehrungen habe ich einfach wieder gesägt und gefeilt. Das ging relativ leicht und sagt mir, dass die Materialqualität des neuen Rohrs auch nicht enorm hoch sein kann, weil die Werkzeuge hinterher noch scharf waren.






Für die Gehrungen hatte ich mir dieses Mal Aufkleber aus einem genialen Online-Rechner gedruckt und vorher Winkel und Längen genau ausgemessen (dort kann man sogar ovale und tütenförmige Rohre rechnen lassen):
https://dogfeatherdesign.com/ttn_js/
Allerdings wurde der Rahmen wohl unter Spannung geschweißt, denn nach dem Durchsägen des alten Rohrs stand es mit einem kurzen "Sproinggg!" ca. 1 cm zur Seite und nach oben. Vorn/oben am neuen Rohr sieht man, dass es nicht genau passt und nach der nötigen Nacharbeit leider ein wenig "slopen" musste, weil man ja nichts drauffeilen kann.








Das eigentliche Gebrutzel mit Neusilberlot und entsprechend hoher Temperatur wurde nicht schön und brachte folgende Erkenntnisse:
  • das Flussmittel taugt nicht viel und verbraucht sich zu schnell
  • der Lotstab ist viel zu dünn für flottes und gleichmäßiges Arbeiten
  • dünnere Hohlkehlen mit viel weniger Material würden völlig ausreichen, aber ich wollte ja gerade die großen üben


Also werde ich beim nächsten Mal ein anderes Flussmittel und dickeres Lot nehmen, und Acetylen statt Propan probieren.

Das Neusilberlot feilt sich "definierter", als Silberlot und lässt sich anschließend natürlich prima in Form bringen, das Gestümpere ist jetzt also gut kaschiert:












Hier sieht man gut, was verbrauchtes Flussmittel bewirken kann; die Löcher lassen sich aber ganz einfach mit Silberlot füllen:




Das neue Rohr hat an den Lötstellen aber keine Beulen bekommen, das Steuerrohr ist noch rund und der Rahmen hat sich auch nicht verzogen, das wollte ich ja eigentlich nur wissen. Leicht bananenkrumm ist nur das Steuerrohr, zu den Hauptrohren hin - das war es aber ab Werk schon und es machte dank ordentlicher Nachbearbeitung nie Probleme. Allerdings bleibt ein fader Beigeschmack beim Rahmen eines "renommierten Großserienherstellers, der für viele andere Namen im Auftrag fertigt".

Bald geht es weiter und ich verspreche euch, dass dieses Gerät natürlich auch nicht ohne ein paar kleine, sinnlose Spielereien auskommen wird.
 
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eine frage du nutzt für deine arbeiten eine arte rahmenlehre? kann mir vorstellen das wenn man das oberrohr entfernt der rahmen nicht mehr ganz gerade ist oder täuche ich mich.
ich hab mein roxikit immer noch im keller und mehr als genug rahmen zum üben, seit donnerstag einer mehr in mich ist ein rennradler frontal eingeschlagen dabei hat mein aserdi wohl die meiste energie aufgenommen gabel verbogen rahmen gestaucht. ich bin schon am überlegen ein frankenstein rahmen zu bauen bzw das lötset endlich mal zu benutzen seit 4 jahren stehts nur rum.
 
@Goderian
Nein, bislang habe ich keine Lehre. Zum Ausrichten nehme ich einen alten, aber sauber zentrierten Radsatz und zwei stabile Aluschienen mit Schraubzwingen; so ähnlich kann man mit einem einzelnen Vorderrad auch Gabeln bauen. Die kommenden ein bis zwei Rahmen werde ich auch noch ohne Lehre bauen und dabei wieder eine Seite des Hinterbaus "auf der Tischplatte über der Zeichnung" heften, bevor die zweite Seite mit Schienen und Radsatz gemacht wird. Das funktioniert bislang eigentlich ganz gut und die Rahmen sind hinterher zumindest "gerader", als viele werksseitige und unfallfreie, die ich sonst so kenne.

Ich hatte auch Bedenken, dass der Rahmen sich nach dem Durchsägen in eine Richtung biegt oder verwindet, weil er z.B. unter Spannung gebaut oder mit Gewaltanwendung gerichtet wurde, aber zum Glück ging nur das Oberrohr zur Seite weg. Unter- und Sitzrohr kann man seitlich gut kontrollieren, wenn man den Rahmen zwischen zwei stabilen Metallprofilen in den Schraubstock spannt und misst, ob das Rohr hinten und vorne, rechts und links jeweils gleiche Abstände zu den Profilen hat. Steuerrohr zu Sitzrohr prüfe ich einfach mit "optischer Peilung" auf Verdrehung; mit ein paar Metern Abstand sieht man das dann schon. Oder wieder mit Rädern und Schienen: Wenn Unterrohr und Gabel gerade sind, Vorder- und Hinterrad aber beim besten Willen nicht ohne Zwang zwischen die Schienen flutschen wollen, ist was schief. Die fieseste und schwierigste Variante wäre dann ein "dreidimensional schiefer" Hinterbau, und der kommt auch nicht so selten vor: unterschiedlich lang UND unterschiedlich hoch. Dann wird es böse und man muss irgendwo sägen, statt nur zu biegen. Manchmal glaube ich ja, dass es horizontale Ausfallenden allein zur Kompensation solcher Fehler gab...

Wenn Du einen Unfallrahmen komplett vorne absägen und neu machen willst, musst Du eigentlich nur Deine Wunschgeometrie kennen und eine unverbogene, in etwa passende Gabel haben. Zum Ausrichten reichen dann auch wieder: Zwei stabile Aluprofile, ein alter Radsatz, ein alter Steuersatz, ein paar Meter stabiler Bindedraht (muss nicht unbedingt sein) und ein digitaler Winkelmesser (in die Auflage am besten genau mittig längs eine Kerbe feilen, damit der ordentlich auf Rohren sitzt).
Das an beiden Enden schon passend zurechtgefeilte Unterrohr würde ich im Schraubstock einlöten oder zumindest "heften": Tretlagergehäuse zwischen den Schienen, vorn neben dem Rohrende passende Distanzstücke, Winkel zum Sitzrohr mit Pappschablone kontrollieren und ggf. mit dem Bindedraht sichern.
Bei einem gemufften Rahmen wird die Verbindung von Oberrohr zu Sitzrohr aber schwierig. Wenn er mit Messing gelötet wurde, solltest Du den Rest des alten Rohrs lieber aus der Muffe schleifen/"dremeln", als es auszulöten. Dabei kommst Du aber um ein Loch im Sitzrohr nicht rum und hast anschließend eine komplett durchgesteckte Verbindung, die sich zwar wunderschön ausrichten und kontrollieren lässt, aber mit etwas Pech die Sattelstütze nicht mehr supersauber klemmt. Lötest Du es aus, kannst Du andererseits den Sitz des neuen Rohrs nicht richtig kontrollieren und musst Dich darauf verlassen, alles ordentlich gemessen zu haben - und, dass ggf. das Silberlot am Sitzrohr wieder aus der Muffe läuft.

Ich meine aber: Wenn der Rahmen jetzt Schrott ist, kann er dabei nicht schlechter werden. Meistens klappt das.
 
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die wir schon vor drei Jahren für ein ähnliches (aber schöneres) Projekt von @ta22os lasern ließen. Bei mir lagen sie in der Ecke und kamen erst beim letzten Umzug wieder hervor, genau zur rechten Zeit.
Ach je, die liegen bei mir auch noch rum. Wird im Winter erledigt;)
Und ja, ich find's auch klasse, dass du uns mal wieder an deiner Bastelei (nicht bös gemeint, im Gegenteil) teilhaben lässt.
 
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