Am 10. August startete der Thüringer Guido Kunze in Frankreich auf seine Weltrekordjagd, in nur 14 Tagen 100.000 Höhenmeter zu sammeln. Die Fahrt ist bisher vor allem eines: Ein brutaler Kampf mit den Elementen – und dem Magen-Darm-Trakt. Wir haben mit Guido in einer kurzen Pause am 17.08. gesprochen.

Guido, wer Deine Fahrt verfolgt, den erreicht eine Pech-Botschaft nach der anderen. Was ist da los?

Guido Kunze: Nun ja, gleich zum Auftakt kommen Durchfall und schlechtes Wetter zusammen. Dass ich so früh schon mit ganz gravierenden Entscheidungen konfrontiert werde, hatte ich nicht erwartet. Zumal wir nicht wissen, wo der Durchfall herkam. Schlechtes Wetter kommt nie überraschend. Das kann schon mal sein. Es nervt aber, wenn es dauernd regnet und kalt ist.

Unerwartetes Hindernis am Mont Ventoux am ersten Tag.
# Unerwartetes Hindernis am Mont Ventoux am ersten Tag. - © Guido Kunze, Centomila

Magen-Darm-Probleme schwächen den Körper gewaltig, aber für die Psyche ist das natürlich auch nicht gut…

Exakt. Ich kann mir wirklich nicht erklären, woher der Durchfall kam und warum er mich mehr geschwächt hat, als ich erwartet hatte. Ich hatte keine wirklichen Magen- oder Verdauungsprobleme, aber trotzdem Durchfall und alle Nase lang das Gefühl, ich muss in die Büsche. Für dieses Rätselraten, was eigentlich los ist, sind die langen Stunden solo auf dem Rad nicht das Beste. Weder körperlich noch psychisch.
Irgendwie verstärkten sich das dauernd schlechte Wetter und die Schwäche durch den Durchfall. Manchmal fühle ich mich so, als könnte ich mit beidem allein problemlos umgehen, aber beide zusammen nagen an den Nerven.

Guido geschwächt in der Durchfallphase.
# Guido geschwächt in der Durchfallphase. - © Guido Kunze, Centomila

Wie kannst Du Deine Moral da noch aufrecht erhalten?

Ich will einfach. Ich habe mir das ja vorgenommen, weil ich an mich glaube und daran, dass ich es schaffen kann. Und schnell aufgeben ist gar nicht mein Ding. Und zweitens hilft das Team enorm. Die ganze Logistik funktioniert, weil sich alle reinhängen. Obwohl es nicht einfach ist, in den Alpen in der Höchstsaison einen freien Campingplatz zu finden, steht alles parat, wenn ich am Abend erscheine. Ganz besonders wichtig bei der Kälte, in der ich auf den hohen Pässen herumfahre.

Das Team hat Guido stets im Blick – verschwommen...
# Das Team hat Guido stets im Blick – verschwommen... - © Guido Kunze, Centomila

Wie waren die Bedingungen die Tage?

Der Gavia hatte 6°C und Niesel, Sicht 150 m in die Wolken hinein. Der Bernina Starkregen, 5°C. Und in den zwei Tagen, wo es mir in Savoyen dreckig ging, joggte Steffen Lüdtke buchstäblich Kilometer lang neben mir her, um mich zu motivieren. Vor allem bei den saukalten Auffahrten nach Val Thorens und zum Nufenenpass hat das geholfen.

Der Regen macht mir nicht einmal das Meiste aus. Die Kälte ist viel schlimmer. Ich bin ein Warmwetterfahrer. Bei der Rekordfahrt durch Australien regnete es auch immer mal und es war windig, aber bei 25 °C, nicht bei 5 °C wie hier.

Wenn wir von Deinen anderen Extremtouren sprechen: In wie weit kannst Du hier von Deinen bisherigen Erfahrungen profitieren?

Dreckig geht es einem immer wieder aufs Neue. Die Bedingungen sind immer wieder unterschiedlich. Ich kann zwar heute leichter sagen, ob es nötig ist, doch noch eine halbe Stunde zu warten, weil es regnet und ich mich nicht besonders fühle. Doch das hier ist weder mit Australien noch mit Chile letztes Jahr zu vergleichen. Was mich am meisten mitnimmt, sind die langen Passfahrten bei Kälte und Nässe. 190 km geradeaus und ziemlich eben durch die Nullarbor-Wüste sind etwas anderes als 40 km bergauf nach Val Thorens, zum San Bernardino oder über 10 km ständig jenseits 10% den Mortirolo hoch. Auf der nassen Straße ist mir da sogar das Rad durchgedreht, so steil geht’s zu.

Es gab auch (kurze) Trockenphasen wie hier am Col d'Izoard .
# Es gab auch (kurze) Trockenphasen wie hier am Col d'Izoard . - © Guido Kunze, Centomila

Wer entscheidet über Weiterfahrt oder Abbruch: Du oder Dein Team?

Ich. Ich muss das ja am Ende vor allen verantworten. Aber natürlich reden wir darüber, was passieren soll. Eins steht aber schon fest: Wenn ich nicht ganz schlimme gesundheitliche Probleme bekomme, wird keinesfalls abgebrochen. Ich fahre jedenfalls nach Obereggen, zum Reiterjoch. Das bin ich mir, meinen Unterstützern und meinem Begleitteam schuldig. Ich meine auch, mit 60, 70 oder 80 Tausend Höhenmetern anzukommen, ist keine Schande. Ich werde aber jedenfalls versuchen, die Hunderttausend voll zu machen.

Wie konntest Du Deinen Magen-Darm wieder beruhigen? Du darfst hier als Weltrekord-Versuchler sicher nicht einfach irgendwas einwerfen…

Darf nicht – und vor allem: will nicht. Ich will ja meine Grenzen austesten, nicht die meiner Bordapotheke. Der Durchfall ist mit der Hilfe einer Kräutermischung als Tee zu Ende gegangen.

Wie ist der weitere Streckenplan? Ihr musstet ja wegen Durchfall und Unwettern einen halben Tag mit einigen Höhenmetern aus dem Programm streichen. Wie holt Ihr die wo wieder rein?

Wir sind zeitlich wieder voll im Plan. Der Regen und die Kälte haben nur zu geringen Verschiebungen geführt. Wir haben beschlossen, erst einmal das Programm weiter durchzugehen. Gegen Ende ist sowieso noch Zeitpuffer. Vor allem gibt es in unmittelbarer Nähe zum Ziel im Eggental viele Möglichkeiten, die Höhenmeter wieder hereinzuholen, die ich verloren habe. Darum kümmert sich mein Streckenplaner Marco Rühl, und er hat sich einiges ausgedacht. Zum Beispiel kann die Sella Ronda zweimal gefahren werden, oder ein, zwei, drei Pässe können von beiden Seiten befahren werden. Geplant war ja, dass am Ende die Sache leichter wird. Das wird sich jetzt kaum noch machen lassen. Aber verzagt wird deshalb nicht.

Platten auf schlechter Straße am Col des Saisies. Das bislang einzige, kleine technische Problem.
# Platten auf schlechter Straße am Col des Saisies. Das bislang einzige, kleine technische Problem. - © Guido Kunze, Centomila

Wir wollen auf einer positiven Note schließen! 1. Du liegst noch immer gut in der Zeit! Und: gab es auch schöne Erlebnisse bisher?

Na ja, weil die letzten Tage nicht so dolle waren, entsteht vielleicht der Eindruck, mir geht’s mies. Das stimmt aber nicht. Es ist ein tolles Projekt – selbst wenn es am Ende keine 100.000 hm werden. Die ersten Tage in der Provence und den Seealpen gingen durch herrliche Landschaften. Ich fahre über Pässe, die ich schon jahrelang mal fahren wollte. Ich hätte sie nur gern bei vernünftigem Wetter gefahren.

Spaß macht mir auch die Technik. Ghost hat mir einmal mehr ein Superbike unter den Hintern gesetzt.  Ich hatte mir ein bisschen Sorgen gemacht, dass ich mir nicht genug Zeit genommen hatte, mich an das Rad zu gewöhnen. Aber die Sorge hat sich als unbegründet herausgestellt. Auch die elektronische Di2-Schaltung, die ich in Australien erstmals fuhr, macht, was sie soll. Nach einer Woche ist die einzige Panne, die ich hatte, – und die ist zu vernachlässigen – ein platter Reifen, der aber nicht an meinen Schwalbe Tubeless liegt, die ich erstmals bei einem Großprojekt fahre, sondern an einem gruseligen Belag im Anstieg nach Les Saisies von Albertville kommend. Die Reifen senken wirklich den Rollwiderstand.

Wer Guido täglich folgen will, kann das unter: www.guido-kunze.de

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