100%!
Allerdings ist es genau das, was mich im Fall eines 5000€ NOS-Rades so extrem verwirrt, wie es das bei anderen NOS-Rahmen oder Teilen ja auch schon in Grundzügen tut.
Ein ca. 30 Jahre altes Rad das keinen Zentimeter Straße gesehen hat und ohnehin schon für sich und vom Modell her gesehen ein Sammlerstück ist, ist letztlich nicht mehr weit vom Kunstgegenstand entfernt, den sich ein Sammler an die Wand tackert - aber hinter dickem Glas, vor dem auch noch lichtdichte Molton-Lappen hängen, weil UV-Licht ja die Farbe kaputt macht. Oder der XY-Designer-Couch, auf der man bloß nicht sitzen darf, weil sie ja ein Einzelstück von irgendeinem skandinavischen Inneneinrichtungs-Pabst ist und sonst sitzkuhlen oder gar Flecken bekommt, sich aber im mindesten der Stoffbezug abnutzt.
Ein Rad das man nicht fährt ergibt ähnlich viel Sinn wie ein Bild das man nicht sieht, oder eine Couch auf der man nicht sitzen darf.
Andererseits: man stelle sich vor, Jemand würde heute ein Kunstobjekt kaufen, um es einfach entsprechend seiner ursprünglichen Bestimmung zu nutzen. Beuys Badewanne, um sie in sein Badezimmer einzubauen und darin sein tägliches Bad zu nehmen. Einen Banksy kaufen, um selbst weiter dran herum zu sprühen oder malen. Man hätte den Eiffelturm einfach abgerissen, als er nicht weiter als Funkturm benötigt wurde.
Oder, noch plastischer, Da Vinci hätte mit der Mona Lisa das getan, was Maler damals gemeinhin getan haben: Leinwände wiederverwenden - grundieren und das nächste Bild drüber.
Wie viele Dinge an denen wir uns heute erfreuen, die für uns "Kunst" sind, wären dadurch unwiederbringlich verloren?
Dieses Centadingsbums scheint etwas seltenes und besonderes zu sein, sonst wäre es nicht so teuer, oder "blumiger" ausgedrückt, sammelwürdig.
Auch wenn ich eigentlich aus Deiner Richtung komme und sage "Räder sind zum fahren da, also: los geht's!": irgendwie ist es auch egoistisch, oder? Räder die etwa 30 Jahre im Neuzustand überlebt haben mal eben für den eigenen Spaß zu fahren - "nach mir die Sintflut; das Rad zeugt schonmal nicht mehr davon, wie die Dinger damals ausgeliefert wurden".
Jajaja, wie gesagt, ich weiß: langweilig philosophisch und so rational, in einem für uns alle hauptsächlich emotionalem Thema, nämlich unseren Hobbys. Aber es hat dennoch etwas erschreckend zeitgemäßes, obwohl wir uns wohl alle gegen den Punkt wehren würden: das ist Wegwerfgesellschaft in Reinkultur. Auch wenn wir die begrenzte Ressource vorher gebrauchen, ist sie irgendwann nunmal verbraucht. Kommt halt der nächste Rahmen dran…
Der Gedanke erschreckt mich manchmal, weil ich so gar nicht sein will. Und weil ich mir nicht anmaße einen Unterschied im Fahrverhalten zwischen einem Bianchi Specialissima von 1988 mit Campagnolo C-Record Graphit-Finish und einem von 1989 mit Croce d'Aune zu bemerken.
Das "haben-wollen" einer 25th-Dura Ace, einer Graphit C-Record, oder welcher Jubi-Gruppe und welchem Centendingsbums auch immer kann also doch eigentlich leider wirklich nur vom Pekuniären ausgelöst werden - und da rollen sich dann wiederum dem Künstler in mir die Fußnägel hoch.
Aber genug OT und gedankenschwangeres Geschwafel. Hoch die Tassen, nen guten Rutsch, und auf dass wir im kommenden Jahr alle Rückenwind auf tollen Rädern haben werden!
