Die Knielotregel garantiert eine biomechanisch falsche Körperhaltung bei >90% aller Hobbyfahrer. Wenn du das als Schritt Nr. 1 deines Bike Fits nimmst, wird das wahrscheinlich nichts.
Google mal Fotos von Profis aus der Seitenansicht. Ich sage nicht, dass du so fahren sollst wie Profis, das ist nur Anschauungsmaterial, das ein paar Punkte illustrieren soll.
Hier ist z.B. Fabian Cancellara, der mir spontan einfällt, da er auch ca. so groß ist wie du (1,86m lt. Wikipedia):
Teil mal Cancellaras Fahrrad in eine vordere und hintere Hälfte, die Trennlinie ist mittig zwischen den Laufrädern. Achte mal darauf, dass Cancellara ein weißes Schweizer Kreuz auf der Brust seines Trikots hat, dessen Zentrum zufällig genau auf die Mittellinie des Fahrrads trifft. Bei ihm sind etwa 50% des Oberkörpers in der vorderen Hälfte. Auf dem oberen Bild sieht man gut, dass sein Knielot ganze 5-10cm vor der Pedalachse ist - in 3-Uhr-Kurbelstellung ist sein halber Oberschenkel in der vorderen Hälfte. Der Innenwinkel seines Beines zwischen Ober-/Unterschenkel ist knapp über 90°. Der hinterste Punkt seines Hinterns ist im vordere Drittel der Länge des hintern Laufrads (weil er auf dem
Sattel extra nach vorne rutscht). Seine Hände sind etwas über oder knapp vor der Nabe seines vorderen Laufrades. Sein Kopf ist irgendwo überm Vorbau.
So fahren Profis und so fährt man erwiesenermaßen gut. Wie gesagt, du musst oder sollst keineswegs unbedingt profigleich fahren, ich will nur auf ein paar Unterschiede und ihre Konsequenzen aufmerksam machen.
Jetzt schau mal deine Bilder an: Du hälst dich ans Knielot, so wie es 99% des Internets und 0% aller biomechanisch gebildeten Kenner empfehlen - soweit ist es weder richtig noch falsch. Der Innenwinkel deines Beines ist weit über 90° (eher 120°). Wieder teilen wir das Fahrrad in vordere/hintere Hälfte: Dein gesamter Körper, mit Ausnahme von Kopf und Armen, ist in der hinteren Hälfte! Der hinterste Punkt deines Hinterns ist fast über der Hinterradnabe. Deine Hände sind über der Vorderradnabe (gut!). Dein Kopf ist fast völlig hinter dem Vorbau.
Zusammengefasst bist du viel weiter hinten als Cancellara auf obigen Bildern. Cancellara hat sein Gewicht ca 50/50% auf Hinter-/Vorderrad verteilt, du liegst bei geschätzt 80/20%. Außerdem sitzt du viel aufrechter. Würden du und Cancellara Seite an Seite fahren, die Mittellinien eurer Fahrräder direkt nebeneinander, so würdest du ihn um mindestens 15-20cm überragen, wobei dein Kopf ebenfalls 15cm weiter hinten wäre.
Diese Unterschiede haben Konsequenzen. Erstens machst du das Kurvenverhalten deines Rads kaputt. Um wendig aber dennoch kontrolliert zu fahren, muss das Vorderrad mit etwa 40-50% des Gesamtgewichtes belastet sein. Zu wenig Gewicht vorne, und du kannst keine engen Kurvenradien fahren, während das Vorderrad andererseits instabil ist und leicht durch Unebenheiten der Fahrbahn ausgelenkt wird (denn ohne Last von oben wird es auch nicht in Spur gehalten).
Dein Körperschwerpunkt ist nicht nur weiter hinten, sondern auch weiter oben. In Kurven, wenn du dich zur Seit neigst, bildest du einen längeren Hebel, der das Rad zum umkippen drängt, als Gegenkraft zur zentrifugalen Scheinkraft der Kurvenfahrt - d.h. du kannst dich auch nicht so weit neigen, ehe du umkippst. Kurz: Du hast Hollandradhaltung auf dem Rennrad, du bist tendenziell unsicher in Kurven, kannst nicht schnell enge Kurven nehmen, hast früher das Gefühl, bei Seitenneigung umzukippen und kannst schlechter spurtreu fahren. Merkregel: In der Kurve "bist" du in der Nabe deines Vorderrades und ziehst den Rest des Fahrrads passiv hinter dir her. Du hingegen bist viel eher "über" der Nabe deines Hinterrades und schiebst dein Fahrrad passiv durch die Kurve. Den Unterschied solltest du deutlich spüren können.
Du hast andere Körperproportionen als Cancellara. Längere Oberschenkel, kürzerer Oberkörper. Das drückt dein Körpergewicht in die hintere Hälfte, wenn du vom Knielot ausgehst. Du wirst als Nicht-Profi ohnehin nie so tief/vorne sitzen können/wollen wie ein Profi, das ist mehr Anstrengung, als man in ein Hobby investieren will
Aber ab einem gewissen Punkt machst du das Fahrverhalten deines Rennrads kaputt, wenn du deinen Schwerpunkt zu weit nach hinten wandern lässt.
Ich würde die Sitzposition nicht statisch im Stand konstruieren, sondern dynamisch nach Gefühl während der Fahrt einstellen. Wie fühlst du dich, während du fährst? Kannst du perfekt geradeaus fahren, egal was kommt? Bist du in Kurven sicher? Kannst du schnell enge Kurven fahren? Fühlst du dich dabei stabil, ohne das Gefühl zu haben, du kippst gleich um? Wenn ja, dann ist alles in Butter, ganz egal, was die Bilder sagen. Wenn nein, dann versuch mal, deinen Schwerpunkt tiefer und weiter nach vorne zu bringen.
Das nächste mal, wenn du Bilder machst, zeichne bitte die Mittellinie zwischen Vorder-/Hinterrad ein, die ist echt wichtig, wenn man Gewichtsverteilung abschätzen will. Und lass dich nicht in ein starres Schema drücken, wie z.B. in die Knielotregel. Menschen haben nicht alle dieselben Körperproportionen, es macht keinen Sinn, dass bei allen das Knie genau an derselben Stelle ist.