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Reisebericht /// Dresden-Hamburg-Brunsbüttel-Kiel-Flensburg

firlie

FRODO is alive ! Beware !
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Mit "Flensburg" kam mir Anfang des Jahres ein neues RadFernReiseZiel in den Sinn,... und danach ging die Zeit ins Land.
Aus den Lehren der letzten Reise, vorher alles genau zu planen, war ich augenscheinlich nicht klug geworden,
denn noch 3 Wochen vor Tourstart hatte ich nichts Brauchbares ausgearbeitet, immerhin besaß ich da bereits eine Fahrkarte der DB für die Rückreise.
Aber alles wird gut !
2 Tage vor dem Start stand die Route von 850 km mit den Eckdaten Dresden - Hamburg - Brunsbüttel - Rendsburg - Flensburg fest.
Eventuell würde ich noch über Kiel/Laboe fahren und mir dort das U-Boot anschauen. Das wären dann noch mal 100km mehr ...



Ausrüstung: ein umgebautes "Stevens Strada 900", 2 Frontroller a 10 Liter von Ortlieb und eine Lenkertasche ebenfalls von Ortlieb. Letztere ist der Ersatz für meinen Rucksack, mit dem ich im letzten Jahr keine gute Erfahrung gemacht hatte.
Gesamtkilometer: setzten sich aus der Tagesstrecke von A nach B und den anschließenden Besorgungen (Supermarkt, kleineres Sightseeing, Restaurantbesuch) zusammen.
 
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Sonntag, 26.07.2015 - 1. Tag
Arnsdorf - Wittenberg/Lutherstadt
200 Kilometer




Es stürmte die ganze Nacht !
Eingeschlafen war ich mit der Hoffnung, dass Tief "Zeljko" am Morgen durchgezogen ist. Doch um 5 Uhr, bei Weckerklingeln,
immer noch dieses Heulen draußen. Na dann gute Fuhre !
Waschen, Anziehen, Müsli reingeschoben und rauf auf den Bock. Die ersten Kilometer bis Dresden bedeckter Himmel und natürlich jede Menge Wind.




Ein Sahnehäubchen kommt mit der Abfahrt hinunter zur Waldschlößchenbrücke und lässt mich das eher miese Wetter schnell vergessen. Auch zeigen sich erste Sonnenstrahlen. Bei den "Filmnächten" wird gerade aufgeräumt, ein penetranter Geruch von Elbe, Alkohol und Zigarette empfängt mich hier. Die Müllmänner und einige Jogger sind die einzigen, alles andere schläft noch.




Was für ein herrliches Wetter vor Meißen - aber kräftiger Gegenwind !




Ich bin gut drauf, beschließe mit dem Rad zum Meißner Dom hinauf zu fahren. Fataler Fehler dieses !
Das Altstadtpflaster verträgt sich rein gar nicht mit den dünnen, hart aufgepumpten Reifen meines Rades. Mehr schiebend und vor mich hinfluchend nehme ich die kräftige Steigung nach oben, um kurze Zeit später, holpernd, wieder nach unten zu gurken.




Das war wohl nichts. Doch der Himmel entschädigt für alles, spiegelt sich vor lauter Selbstverliebtheit in der Elbe.



Bei Diesbar Seußlitz kommt mit dem "Bösen Bruder" der letzte nennenswerte Elbhang, danach wird es sichtbar flacher.





Uups ! - was ist denn das ? Als jungfräulicher Elberadfahrer hängt man dem Gedanken an, links oder rechts verläuft asphaltierter oder wenigstens glatter, feiner Weg. Ein Trugschluß, den ich auf meinem kommenden Weg allzu oft bestätigt finde. Ich frage mich, was Liegeradfaher an solchen Stellen tun ...?





Kurz vor Riesa fahre ich zum ersten Male auf einem Elbdeich. Das Wetter spielt mit, so kann es bleiben !




Gegen 10 Uhr bin ich dann in Riesa und esse mein mitgenommenes Frühstück. Das Gemüse ist in der Dose durch das Geschackere zu Brei mutiert, tut aber dem Geschmack keinen Abbruch. Riesa wird mir als graue Stadt in Erinnerung bleiben, auch wenn ich es nur am Rande streife. Bei Mühlberg erfolgt ein Wechsel auf die andere Elbseite ...





... kurz vor 12 bin ich in Torgau. Ein Highlight, denn hier habe ich mit 17 Lenzen, im späten Herbst - das Wasser überzog schon eine dünne Eisschicht - als Fischerstift beim Abfischen im Großteich gestanden. Angesichts des blauen Himmels und + 25°C schwer vorstellbar, aber Tatsache und mich übermannen die Gefühle ... schluchz !




Nach dem Vorbeifahren am "Schloß Hartenfels" und dem "Brückenkopf " in Torgau begehe ich den zweiten Fehler des Tages.
Auf der Karte schaut sie so wunderbar abkürzend aus, die B182, und ich habe immerhin ein "fast Rennrad" unterm Ursche, da sollte doch auf glatter Straße was rollen ....
Doch es rollt nicht. Es rollt gar nicht. Es rollt gefühlt rückwärts !!!
Die Straße geht schnurgerade, kilometerlang bis zum Horizont und der Wind kommt direkt von vorn.


 
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Fluchend, fix und fertig nehme ich bei "Pretsch" die Fähre, setze nach "rechtselbisch" über und folge dem Radweg Richtung Wittenberg.



Vor meinem heutigen Tagesziel quere ich sie noch, die "Schwarze Elster". Ihren Ursprung hat sie an der Ostflanke des
"Hochsteins" in meiner geliebten Westlausitz und 2 oder 3 mal war ich auch schon dort. Hier nun, in der Nähe von "Elster" , nach fast 200 Kilometern, ergießt sie sich in die Elbe. Das ist dann schon ein Foto wert !



Mit dem "Restaurant und Pension zur Elbe" finde ich in Wittenberg -Lutherstadt schnell eine Bleibe für 40,- € und die Nacht. Nach der üblichen Prozedur von Wäschewaschen, Duschen und Feinmachen gönne ich mir im "Brauhaus" eine deftige, wohlschmeckende Mahlzeit. Es sitzt sich gut in diesem Innenhof und ich bin stolz auf meine fast 200 Tageskilometer. Das angemietete Zimmer ist auch okay.
Noch ! - denn nur eine Straße trennt das Hotel vom Zuggleis und dort werden in der Nacht jede Menge D-Züge entlangjagen, die selbst den erschöptesten Radfahrer aus dem Schlaf reißen ...








Grüße
-firlie-
 
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Montag 27.7.2015 / 2. Tag
Wittenberg/Lutherstadt - Tangermünde
195 Kilometer




Geschlafen habe ich trotz der 1000 vorbeidonnernden Züge erstaunlich gut.
Über die Elbe geht es gegen 6 Uhr auf die linke Seite des Flusses. Der Himmel ist verhangen und es hatte leicht geregnet. Mein Radsattel knarzt und knirscht, zudem verspüre ich Schmerzen im linken Knie. Das sollte nichts Tragisches sein, nach dem Gewaltritt von gestern und ich sage mir: "Es wird sich schon einfahren !"





Schnell bin ich dann auf der sog. Alternativroute des Elberadweges in "Wörlitz " und dort auch gleich im Park. Zu solch früher Stunde ist hier noch keine Menschenseele und so fahre ich verbotenerweise einmal durch. Das, was ich zu sehen kriege, gefällt mir richtig gut. Definitiv mal ein Ort wo man herfahren und flanieren kann !
Es schließt sich wenig später der "Sieglitzer Berg" an. Zusammen mit dem Wörlitzer Park bildet er das sog. "Dessau-Wörlitzer Gartenreich". Der Radweg, der hindurch führt, geht direkt durch den Wald und ist wunderbar zu fahren. Ein plötzlich auftauchendes Verbotsschild ignoriere ich, es gibt keine ausgewiesene Alternative.



Unter der "Jagdbrücke" fließt die "Mulde" dahin. Das ist kurz vor Dessau-Roßlau.



Im Fernsehen hatte ich mal eine Reportage mit Luftaufnahmen über den Verlauf der Elbe gesehen. Ein genialer Beitrag.
Die Mündungen der einzelnen Flüsse in den Hauptsrom hatten mich fasziniert. Nun war die Idee diese aufzusuchen und mit der Schwarzen Elster hatte ich gestern schon den Anfang gemacht.
Ich quere also die Mulde über die Jagdbrücke und mache mich auf die Suche. Ergebnislos. Die 2spurige B184 vermasselt mir dabei einiges, denn als ich mein Verfahren bemerke, kann ich nicht einfach auf die andere Seite, sondern muss zurück. Zudem beginnt es jetzt zu regnen und ich merke, hier verfahre ich nur sinnlos Zeit und Kilometer. Am Ende bleibt nur ein Blick auf der letzten Muldebrücke und der lässt mich stromaufwärts schauen ...



In Dessau-Roßlau bildet die Elbe eine großes " U ". Warum man die hier nicht begradigt hat, bleibt mir ein Rätzel, denn eigentlich tat und tut man dieses in Deutschland auf Deibel komm raus ... ! Am sog. "Kornhaus" werfe ich dann einen Blick auf die Kurve des Stromes ....



.... und verspüre ein leichtes Rumoren im Bauch. Ja, es ist Zeit für das Frühstück. In Groß-Kühnau bietet sich nach Herumfragerei, im Penny die Gelegenheit dazu.



Es ist halb 9, ich bin vor dem Supermarkt am Mümmeln und plötzlich sind da anderthalb Dutzend Fernradler wie aus dem Nichts erschienen. Viele von denen werde ich kurz darauf, auf dem Radweg nach "Aken", in rasantem Tempo überholen. Der, durch das Wurzelwerk aufgebrochene Asphalt lockert dabei allerdings meinen grünen Verpflegungsbeutel derart, dass er den Abflug macht, sich am Reifen reibt und durchgescheuert wird. Anhalten macht sich notwendig und wieder mal sehe ich mich breitem Grinsen meiner Radlerkollegen ausgesetzt. Die L149 auf der ich danach nach "Groß Rosenburg" unterwegs bin, fährt sich gut, der obligatorische Gegenwind bleibt mir allerdings nicht erspart.



In Groß Rosenburg will ich mit der Fähre über die Saale, habe den Weg dahin aber nur ungenau auf dem Navi. Ein typischer Altpflasterweg tut sich vor mir auf. Keine Menschenseele weit und breit. Doch ich wage die Fahrt und bin schließlich am Fährhäuschen. "Fährmann hol über ! " Ich rufe 3 Mal vergeblich, dann platzt nicht mir der Kragen, sondern dem total unfreundlichen Fährmann. Ob ich nicht sehe "dass er fährt" bekomme ich barsch und überheblich zu hören. Auch wenig später, bei der Überfahrt, komme ich mit dem Versuch eines SmallTalk bei diesem Individuum nicht weiter. Er kehrt stumm eine Ecke seiner Fähre und beachtet mich nicht....




Die jetzt zunehmend aufkommenden "Zellen" am Himmel helfen mir schnell das Fährmannerlebnis zu verarbeiten. Solch Gewölk, das kenne ich vom letzten Jahr, das verspricht nichts Gutes. Erst braut es sich in der Ferne, dann ist alles schwarz und den Höhepunkt bildet schließlich das Entladen mit Blitz, Donner und Sturzfluten. Natürlich genau über einem !




Nach 11 Uhr bin ich in Schönebeck. Hier ist der Himmel wieder vielversprechend blau...



.... Aber das ist nur ein Trick, denn eine Stunde später, in Magdeburg, fängt es leicht an zu regnen und alles ist grau. Ich fahre über die Insel, die "Stromelbe" und "Alte Elbe" voneinander trennt. Und ich verfahre mich. Stress macht sich breit, denn eigentlich wollte ich hier schon vor einer Stunde ... Ein Fehlverhalten, dass ich mir unbedingt abgewöhnen wollte, das sich meiner aber immer wieder bemächtigt.

 
Als ich aus Magdeburg herausfahre, kommt mir ein "Rollerfahrer", der augenscheinlich auch als Elberadler unterwegs ist, entgegen. Vorn am Lenker eine riesen Tasche und auf dem Buckel einen Rucksack Größe XXL. Mein Gott, was sich einige so zutrauen !
Mir entschärft es kurz darauf meinen grünen Beutel zum 3ten Mal und ich habe die Faxen dicke ! Schweren Herzens verabschiede ich mich davon.
Das nächste Ziel ist ein Highlight und ich will es vor dem großen Regen erreichen. Dass der kommen wird, ist so klar wie das Amen in der Kirche !

Hinter Magdeburg beginnt irgendwo das "Jerichower Land". Im letzten Jahr hatte ich hier bereits eine Runde gedreht und schwärme immer noch vom Wasserstraßenkreuz Magdeburg mit der Trogbrücke und der Schleuse Hohenwarte. Nun bin ich da, habe mein Highlight des Tages. Zuvor stürme ich noch den 75 Meter hohen Weinberg, der mir Sicht Richtung Magdeburg und auch auf den immer dunkler werdenden Himmel bietet.




Es ist tief dunkelblau über der anderen, linken Elbseite.
Ach ja, da will ich übrigens gleich hin !!!




Es herscht große Dramatik am Himmel, doch beschreiben oder mit Fotos festhalten lässt sich diese Wirklichkeit nicht recht. Mein kleines Herz schlägt schnell angesichts dieser Wetteraussichten und hinter der Schleuse fahre ich volle Kanne vor dem Unwetter her.



Hohenwarthe, Niegripp, Schartau - so heißen die Orte hier. Ich trete alles was ich kann. Vorn eine tolle Landschaft mit schönem Himmel und rechts hinter mir der Weltuntergang.




Alles was vor mir fährt setze ich als Ziel, das es einzuholen gilt. Und ich hole alles ein !
Auch einen Mountainbiker mit Fully, der, wie ich wenig später erfahre, bis "Rogätz" eine Abkürzung nimmt. Nebenbei halte ich noch 2 Mal an und fotografiere. 500 Meter vor der Fähre muss ich kapitulieren, das Unwetter hat mich eingeholt. Die Regenschwaden kommen von der Seite, es donnert und blitzt. Eine alte, schiefe Weide bietet mir etwas Schutz vorm Regen.



Als der 1.Akt leicht nachlässt, fahre ich runter zur Anlegestelle und treffe hier den Biker wieder.



Noch bei der Überfahrt schlägt das Monster erneut zu. Als wir drüben ankommen, bin ich eigentlich schon nass genug, ziehe die Regensachen aber trotzdem über und beginne meine Fahrt in und mit dem Regen.
In "Bittkau" ist 30 Minuten später der Spuk vorbei. Die Sonne kommt durch, alles dampft- einschließlich mir. Nun ist die Welt wie neu geboren, alles ist klar, herrlichste Farben - ein wundervoller Kontrast.



Im Nordosten zieht das Unwetter dahin ... Mein Bikerfreund hatte sich untergestellt und wir treffen uns nun. Er will in Ferchland mit der Fähre rüber und zurück nach Magdeburg. Das alles in Form einer Feierabendrunde. Wir verabschieden uns und ich gebe jetzt nochmalst alles. Tangermünde ist das erkorene Ziel, ein paar Kilometer sind es noch, es ist halb fünf und ich muss mich sputen.
Doch "ach oh weh" , plötzlich fängt mein Hinterrad an zu schlingern. Ein untrügliches Zeichen für einen Plattfuß. Nein ! - nicht das auch noch !
Aber mir bleibt nichts anderes übrig als mich meinem Schicksal zu fügen. Also hänge ich die Taschen ab, baue das Hinterrad aus. Sicherlich keine große Sache und in 10 Minuten erledigt, doch das Rad ist total verkeimt und dementsprechend sehen meine Hände nun aus.




Ich bin am Aufpumpen, da sehe ich ihn erneut, meinen Bikebruder.
"He ! " - Breites Grinsen auf beiden Seiten - wir haben heute wohl das Pech für uns gebucht. Die Fähre in Ferchland fährt nicht, also muss er den Umweg über Tangermünde nehmen. 15 Kilometer mehr sind aber zu verschmerzen und würzen eine "Feierabendrunde" richtig auf.
Er bietet mir alle erdenkliche Hilfe an, doch mein Rad ist soweit wieder hergestellt und so lehne ich dankend ab. " Machs gut und komm gut heim ! " , dann verschwindet er im erneut aufkommenden Regen !
Nach vielem Fluchen, mit schmutzigen Pfoten, schwitzend, nass und triefend schwinge ich mich wieder aufs Rad - und fahre direkt in den nächsten Guss. Doch nach dem Regen kommt Sonne und auch ein verdammt herrlicher Regenbogen, das entschädigt mich für alles.




Der Radweg ist hier vor Tangermünde bestens präpariert und so fliege ich förmlich in die Stadt hinein. Der erneuter Schauer stört mich schon gar nicht mehr.



Holpernd und suchend fahre ich über Altstadtpflaster, finde recht schnell das" Hotel Adler " und damit meine Bleibe für die Nacht.
Das "Busfahrerzimmer" direkt unterm Dach ist noch zu haben. Runde 50,- € kostet mich dieses kleine Paradies für eine Nacht, doch die sind es wert.





Zum Zimmer gelange ich durch eine Hausunterführung und über 2 Straßen.
Das Hotel ist vielhausig - kein Wunder bei dieser alten Altstadt, die aber wunderherrlich ist. Zunächst müssen die Klamotten ausgewaschen und getrocknet werden. Zum Glück geht die Heizung im Bad, was das nächtliche Trocknen sehr erleichtert. Ein Tässchen Milch und eine Flasche Wasser kosten mich noch mal 5,- € ! - Hotelpreise eben.
Auf das Abendessen im "Gasthaus am Rathaus" warte ich lange. Es sitzt sich ostmäßig hier und eigentlich widerstrebte mir die Einkehr. Doch ich finde nichts Besseres und letztlich schmeckt der Hering, den ich bestelle, sehr gut....

Grüße
-firlie-
 
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Dienstag, 28.7.2015 / 3. Tag
Tangermünde - Dömitz
130 Kilometer


Im Tagebuch werde ich am heutigen Abend vermerken, dass ich die Schnauze gestrichen voll habe. Mein Knie ist okay, doch der rechte Arm, angefangen vom Hals bis zum Ellebogen, scheint total überdehnt. Die Schmerzen sind heftig. Auch habe ich Krieg geführt. Verbal. Habe meinen Frust über diesen höllischen Gegenwind herausgeschrien. Ich bin neidisch über jeden Fahrer der mir grinsend entgegen kommt. Es sind einige und die treten nicht, die rollen nur !
Ich dagegen ducke mich hinter den Lenker und kämpfe um jeden Meter.
Es ist alles so Schei....!




Mein Start ist 6:30 Uhr. Der Himmel ist bedeckt und zunächst läuft alles ganz gut.




Gespannt blicke ich immer wieder auf mein Navi und den eingetragenen "Waypoint", der mein erstes, kleines Ziel markiert - "Schwarzholz" bzw. "Kirch Polkritz" - ein Kirchlein nur und 5 Häuser. Hier sind "firlie-Wurzeln", hier hat mein Vater seine Kinderschuhe zerlatscht, sofern er sie denn hatte. Selber war ich nur ein ...zwei Male hier, das war vor mehr als 30 Jahren und natürlich trage ich ein Bild von allem in meinem Kopf. Die Erwartungen sind hoch und nachdem ich in "Schwarzholz" vergeblich gesucht hatte, taucht wenig später mit "Kirch Polkritz" das gesuchte Kleinod auf. Ein paar Fotos, ein Gang um die Kirche, 10 Minuten Gedanken an meine Vorfahren und dann geht es weiter auf meinem Weg. In "Sandau" soll es mit der Gierseilfähre über die Elbe gehen und hier bekomme ich dann auch meinen Wind zurück.



Der Seitenwechsel war wegen der "Havelmündung" unausweichlich, die wollte ich mir nämlich nicht entgehen lassen. Zunächst ist da aber noch "Havelberg" !



Ein leicht angedöselter Angler erklärt mir hier auf der Brücke den Weg zum Supermarkt. Es ist gegen 10 Uhr und der Hunger meldet sich recht deutlich. Auch will ich einen Radladen aufsuchen, dort einen Schlauch kaufen und Rat wegen des knarzenden Sattels einholen. Der in alkoholisiertem Anglerlatein beschriebene Weg über 5 Ampeln und 20 Kreuzungen führt mich tatsächlich zum Ziel und ich gönne mir das verdiente Frühstück.
Der Radladen, nur wenige 100 Meter weiter, ist klein aber gut besucht. Ein Schlauch kostet mich 6,90 €, die Behandlung des Sattels mit Teflonspray ist umsonst.Die ehrliche Meinung, dass hier kein Mittel lange hilft, bekomme ich mit auf den Weg. Und tatsächlich, nach 30 minütiger Knarz und Knirsch-Pause meldet sich mein Untersatz mit den bekannten Geräuschen zurück. Während ich an diesem Bericht arbeite, hab ich ihn bereits umgetauscht und bin gespannt ob der neue Sattel auch "Mitteilungsbedürfnisse" haben wird .
Das mit der Havel und der Elbe und der Mündung ersterer in die letztere ist für einen Laien zunächst ziemlich kompliziert. Ich sehe mich auf Karten und Tafeln einem weitverzweigtem Netz an wassertechnischen Anlagen gegenüber. Real fahre ich an oder über diverse Kanäle und wäre da nicht ein beschreibendes Täfelchen angebracht, dann hätte ich die echte Havelmündung einfach verpasst.



Das ganze System hat mit dem unterschiedlichen Pegelstand der beiden Flüsse und natürlich mit dem Hochwasserschutz zu tun. Nach der offiziellen Mündung fahre ich kilometerlang am "Gnevsdorfer Vorfluter" entlang. Der Radweg verläuft direkt auf der Deichkrone und der barbarische Wind macht mir mächtig zu schaffen. Bei schönem Wetter bestimmt ein feiner Flecken Erde doch angesichts meiner gesundheitlichen Probleme die sich jetzt mit aller Heftigkeit zurück melden, sowie der besagten Witterung, nicht unbedingt der Bringer !


 
"Wittenberge" nehme ich mit Sturm im Sturm und fahre einfach hindurch. Beim Tankstelleneis (Magnum für 2,- €) kommt mir der Gedanke einer Abkürzung über die B195 und das ist ein Glücksgriff !!! Parallel zur Straße verläuft ein 1A Radweg durch einen Wald. Ich spare dadurch mehrere Kilometer und das Größte, es ist fast kein Wind .
Ab "Cumlosen" hat mich mein Feind, der Gegenwind, allerdings wieder voll im Griff und ich kämpfe wie gehabt um jeden einzelnen Meter.
Deutscher Geschichte begegne ich bei "Lenzen". Dass es diese Grenztürme vereinzelt immer noch gibt wusste ich, sehe diese aber zum ersten Male live.
Seit 25 Jahren gibt es keine innerdeutsche Grenze mehr. Man, wo ist die Zeit geblieben !



Lese ich jetzt in meinem Tagebuch, kann ich meinen dort beschriebenen Frust, die Wut und die Unlust nicht mehr recht nachvollziehen. Zeigen die Bilder nicht weites, flaches und damit gut fahrbares Land ? Der Strom zieht ruhig dahin, ab und an ein heimeliges Häuschen mit schmuckem Garten hinterm Deich ...




Doch irgendwie habe ich tatsächlich voll die A-Karte gezogen. Es ist nicht nur das bisschen "Elbeaufwärts Wind", nein, die Elbe schlägt regelrecht Wellen und zwar stromaufwärts. Das geht seit Dresden so und wird mich bis Brunsbüttel nicht verlassen - ja wird sogar sehr viel schlimmer werden, auch was meine gesundheitlichen Problemzonen anbelangt, denen ich mit meinem Geackere überhaupt keinen Gefallen tue. Die Zerrung im Arm schmerzt sehr und das gesteckte heutige Ziel, Hitzacker, ist einfach nicht zu schaffen !
Irgendwann bricht die Sonne durch. Ein Schild: "Cuxhafen 226 km" lässt mich sofort optimistischer werden. So weit will ich ja eigentlich gar nicht und theoretisch wäre das bis morgen zu schaffen ! Wie schnell man sich durch ein paar Sonnenstrahlen und einen Hinweis aufbauen kann!



Doch mit dem Arm, das geht nicht mehr. Bis "Dömitz" noch, das ist der nächste große Ort, und dort in eine Apotheke und eine Unterkunft. Das ist realistisch und auch das Vernünftigste.
"Dömitz" ist dann schnell erreicht. Bei der Einfahrt fällt mir sofort das große "Hafen Hotel/Restaurant" ins Auge. Das wäre eine Option für die Nacht, doch mit Vorahnung auf Besseres geht die Fahrt weiter und siehe da, plötzlich liegt sie vor mir, die "Radlerpension" .



Das Bauchgefühl sagt ja und mit 35,- € bin ich dabei. Das ist die billigste aber wohl beste Unterkunft meiner ganzen Reise. Nach dem üblichen Frischmachen gehts gleich auf die Suche nach einem Lokal. Die von der Pensionswirtin empfohlene Kneipe "hinter der blauen Brücke" hat heute geschlossen. Zum Glück, denn mit dem vorher schon beäugten "Dömitzer Hafen" lande ich einen Volltreffer. Sauber, groß, einladend. Suppe, Hauptgericht, Cola und Bier kosten mich 20 ,- € und es schmeckt großartig !!!



Schon beim Essen peitschen immer wieder Regenschauer ans Fenster, danach kommt Sonne durch.
Vorboten für den nächsten Tag ?
Gegen 19 Uhr bin ich auf meinem Zimmer und verarzte mich mit der besorgten Kytasalbe, mit der ich daheim gute Erfahrungn gemacht habe.
Momentan geht es mir gut, alle Strapazen sind vergessen. Ein "zur Nacht" Bier, eine Tüte gute Knusperflocken und der Tagebucheintrag beenden den Tag.
Morgen werde ich Hamburg erobern !!!

 
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Mittwoch, 29.7.2015 / 4. Tag
Dömitz - Wedel/ Hamburg
153 Kilometer




Die Pensionswirtin ist gegen 5:30 Uhr schon umher. Mein Blick wandert neidisch auf die gedeckten Frühstückstische für die anderen Radler - egal ! Bei einem kurzen Plausch erfahre ich, heute soll es regnen. Um so besser, dass ich zeitig in die Spur komme und noch ist
der Himmel blau, Arm und Knie zeigen sich kooperativ, kein Schmerz zu spüren - also los !



Mein Feind, der Wind, ist zeitig zu Gange. Meist fahre ich deshalb wieder hinterm Deich. Schmucke Häuschen allenthalben, die Grundstücke mit Obstbäumen bepflanzt, viel Hufgetier auf den Wiesen. Alles ist schön anzuschauen, doch meine Gedanken gehen
immer wieder mal zum Hochwasser. Was ist, wenn so ein Deich mal bricht ...
"Hitzacker", mein eigentliches Ziel von gestern, ist nur mit der Fähre zu erreichen. Erneut so eine Sache, die ich in der Planung nicht bedacht hatte. Ferchland vor 2 Tagen war das beste Beispiel für ein Nichtverkehren dieses Verkehrsmittels.



Wettermäßig werde ich bis Hamburg Glück haben. Das fette, dunkle Gewölk zieht in der Ferne vorbei. Oft sehe ich diese typischen Regenschwaden, dann wieder Sonne. Der Himmel lockert die Stimmung und bringt Abwechlung.



Deich und die dazugehörigen Straßen sind in Bestzustand. Eine halbe Stunde hinter Hitzacker gibt es die Ausnahme in Form eines Straßen-Blows. Doch alles ist gut gesichert und für einen Sturz bin ich eh viel zu langsam ...



Bei "Neu Darchau" bekomme ich erneut einen der Grenztürme zu sehen. Davor und dahinter hat man ein paar Meter Zaun stehen lassen, als Mahnmal und Geschichtsstätte.



Für mich als Ostkind, das mit 17/18 Jahren die Wendezeit erlebt hat, Grenzen nur nach der CSSR und Polen kannte, schwer vorstellbar, was hier vor 25 Jahren ablief.
Den Wind habe ich wieder voll von vorn und wenn ich nicht kämpfend neben dem Deich fahre, führe ich Krieg auf der Deichkrone. Schwalben fliegen am Deichhang neben mir her. Oft berühren sie fast mein Rad bevor sie abdrehen. Eines der schönsten Erlebnisse die ich habe, erinnert diese Szenerie doch stark an Delfine.
In der Nähe von Stiepelse lasse ich mich angesichts der Landschaft und des Wetters zu einem "Selfie" hinreißen:



Gegen halb 9 bin ich in der Fliesenstadt "Boizenburg".
Als " Selbermacher" habe ich beim Lesen des Ortseingangsschildes sofort an unsere zartgelben Badfliesen gedacht. Von den Herstellungsfirmen sehe ich allerdings nichts, denn wie bei allen Städten und Dörfern ist ein Sightseeing auf dieser Tour nicht eingeplant. Komischerweise fahre ich an der Stadt fast vorbei um dann noch mal umzudrehen. Schuld ist der ausgewiesene Radweg um den Hafen, der so quasi umfahren wird..
Am Ortsausgang erwartet mich dann ein richtiger Berg. Ich wähne mich in heimigen Gefilden, muss sogar in den Wiegetritt gehen. In "Lauenburg" das gleiche Spiel. Ich bin richtig baff ! Höhenlinien auf Karten beachte ich eigentlich nicht, nehme wies eben kommt, doch mit solchen Steigungen habe ich nicht gerechnet.
Zwischen Boitzenburg und Lauenburg mündet der "Elbe - Lübeck Kanal" in die Elbe. Bei den ersten Überlegungen zu meiner Reise wollte ich eigentlich hier abzweigen und am Kanal Richtung Lübeck, dann weiter an der Ostsee bis Flensburg. Erst später kam die Idee bis Hamburg zu fahren und über den Nord-Ostsee Kanal zum Ziel zu gelangen.



In "Lauenburg" gibts gegen 11e Frühstück bei Penny. Anschließend rolle ich hinunter an die Elbe und sehe dort den ersten Lastkahn auf meiner bisherigen Reise. Hier ist vom Niedrigwasser, wie wir es in Dresden haben, nichts zu spüren.



Hinter Lauenburg führt der Radweg durch Wald und ist oberflächenmäßig sehr fraglich. Es kommt sogar MTB-Feeling auf. 2 Radler eiern mit Fullys auf diesem geländigen Terrain vor mir her. Mir zu langsam und über Wurzeln und Gestein springend, überhole ich sie schließlich. Unwirsch ob dieser Anfänger den Kopf schüttelnd, schäme ich mich im nächsten Augenblick sehr dafür. Bei echten Downhills bin ich doch der erste, der vom Rad steigt und hinunter schiebt ...!
Doch definitiv ist das hier nix für grazile Rennräder und ich muss an den Rollerfahrer und die Liegeradfaher denken - wer hier so halbherzig vorbereitet ist wie ich, hat verloren !
 
Bei "Geesthach" scheint die Elbe schon nach Meer zu riechen und dann hab ichs endlich vor mir: HAMBURG !!!
Es ist so gegen 11:30 Uhr, die Freude riesengroß. 200 Meter weiter dämpft ein Schild die Euphorie. 30 Kilometer sollen es noch bis zum Zentrum sein. Außerdem ist an den Wolken sichtbar, dass jetzt mit Sicherheit der Regen kommen wird und der kommt schneller als ich denken kann. Unterstand während des ersten Gusses bietet mir eine alte Haltestelle. Nach 15 Minuten geht es weiter auf wunderbaren Radwegen, vorbei an unzähligen Gärtnereien und Siedlungen. Gräben, kleine Kanäle trennen, durchziehen die Landschaft - den Weg säumen Bäume. Der starke Wind stört mich zum ersten Male überhaupt nicht, ich mache zeitweise auch richtig gute Fahrt. Alles ist herrlich und entspannend, jeglicher Stress ist fern





Wo offiziell die Großstadt beginnt steht nirgends, doch ich merke es ! Industrie, Verkehr und Hektik sind untrügliche Zeichen dafür.
Als Landei, bekennender Tiefstprovinzler ist das alles nichts für mich. Dazu kommt ein Regenguß nach dem anderen, ich suche mehrfach Schutz. Bevor es entgültig in die Havencity geht, muss ich mein Rad sogar mal über eine Brücke tragen.
Doch dann ist es plötzlich da, das Hamburg, wie ich es aus Filmen und von Bildern kenne und wie zur Belohnung kommt sofort die Sonne durch die Wolken.



Ich fahre viel im Stehen. Die vielen Touristen, Straßen und Verkehr machen das notwendig. So kann ich mich geschmeidig hindurchschlängeln, nach einem Abbremsen schnell wieder Fahrt aufnehmen.
Ein wichtiger Punkt meiner Reise ist erreicht, der Druck ist von mir abgefallen. Das merke ich an den sich plötzlich wieder einstellenden Schmerzen in Knie und Arm. Natürlich spielt mein jetziges Fahrverhalten auch eine Rolle und verstärkt die Symtome noch.
Ein Vergnügen besonderer Art erwartet mich in "Hamburg - Övelgönne".Von der Schiebestrecke dort hatte ich irgendwo gelesen und das wird mir jetzt angesichts eines Schildes bewusst. Als gesetzestreuer Mensch schiebe ich natürlich, das ist bei den Menschenmassen auch gar nicht anders möglich. Das Besondere und Würze gebende sind allerdings meine Radschuhe mit den Pedalplatten, die mich staken lassen wie einen Storch.
Die bisherigen bildlichen Eindrücke sind überwältigend aber entschieden zu viel. Jede Menge Wasser, die Menschen, Gebäude, Schiffe und natürlich das abziehende Unwetter. ..



Gegen 15 Uhr bin ich dann fertig - fix und fertig!
Und nachdem ich mein Rad erneut eine Treppe hochgeschoben habe - wohlgemerkt auf dem offiziellen Elberadweg !!!- mag ich einfach nicht mehr weiterfahren. Die Schmerzen schaukeln sich immer mehr nach oben - also Abbruch und Quartiersuche !!! Das Navi zeigt mir auch sofort einige Ziele an und ich entscheide mich für den "Freihof am Roland" in Wedel.




Die Hotelanlage ist nobel und dementsprechend auch der Preis. 75,- € kostet die Nacht ohne Frühstück. Aber das ist Hamburg und hier soll alles etwas teurer sein.
Kleidung säubern, Feinmachen,"Zivil" überziehen ! Danach gehts in einen nahen Supermarkt um Wasser und Kleinigkeiten für den nächsten Tag.
Links und rechts vom Hotel gibt es je ein Lokal. Die Wahl fällt leicht, denn auf der Seite wo der Daumen links ist, bekomme ich einen leichten Schwinderling. Hauptgerichte um die 20 Euro verrät die Tafel am Eingang. Das hätte sich also erledigt. Im "B.W.C." nebenan empfängt mich Stammkneipenatmosphäre. Junge Leute schmeißen den Laden hier und auch der überwiegende Teil der Besucher ist nicht gerade alt. Man duzt sich, man scherzt, hier trifft und kennt man sich. Doch alles ist nicht unangenehm. Mein Essen bekomme ich recht schnell und ja, es schmeckt und ist reichlich. Für Tomatensalat, Bier, Cola und Hähnchenschnitzel als Hauptgericht zahle ich 19 Euro. Es geht also auch "günstig" in Hamburg !
Momentan habe ich keinen Schimmer vom Wettergeschehen. Fernsehen schaue ich kaum, mein Handy ist aus der Jungsteinzeit und ohne Internet. Die einzige Info bekomme ich am Abend von daheim. Dabei leitet mein Frauchen das weiter, was teils unfähige Wetterfrösche von sich geben. Während des Essens gibt es wiederholt Regenschauer. Das stört mich nicht weiter, das Hotel ist ja nur ein paar Meter entfernt. Doch was wird morgen werden ?
Mit ungutem Gefühl und total erledigt schlafe ich ein ....
 
Donnerstag, 30.7.2015 / 5. Tag
Hamburg/Wedel - Brunsbüttel - Rendsburg
145Kilometer




Das für gestern angesagte Wetter muss auf der Nordsee irgendwo im Stau gesteckt haben. In der Nacht hat sich dieser aufgelöst und seitdem regnet es. Ich stehe im Hotel und schaue auf diese Bescherung.



Es ist 7 Uhr und eigentlich wollte ich schon unterwegs sein. Doch alles Jammern hilft nicht weiter. Also das Regenzeug angehost und los. Zunächst geht es runter an die Elbe auf den Elberadweg. Bei dieser Aktion schüttet es wie aus Kannen.



Der obligatorische Wind kommt seitlich von vorn, natürlich ! - und an Vorankommen ist nicht zu denken. Immerhin lässt der Regen später langsam nach. Scheibig flaches Land, die einzige Erhebung ist der Deich. Schafe links, Schafe rechts, Schafe ahoi ! Wie jeden Tag kommen mir zufriedene Elberadler "rollend" entgegen.
Es ist alles wieder so deprimierend !



Um den Wartezeiten am Sperrwerk Pinnau zu entgehen, hatte ich mir einen Umweg ins Landesinnere aufs Navi gezeichnet. Dieser Trip tut zunächst sehr gut, habe ich doch tatsächlich Rückenwind. Doch viel zu schnell ist alles vorbei und es geht zurück an die Elbe und damit wieder voll rein ins windige Vergnügen.
In Krückau am Sperwerk bin ich kurz nach 9. Alles geschlossen, ich komme also nicht hinüber. Mit dem Begreifen der Öffnungszeiten habe ich so meine Probleme, zumal sich auch nach 9:15 , der eigentlichen Öffnungszeit , nicht viel tut. Reges Treiben im Sperrwerkshäuschen auf der anderen Seite. Mein Anklingeln auf der Servicenummer wird ignoriert. Gegen 9:20 hält ein kleineres Boot auf die Einfahrt zu und fährt in die "Krückau" ein. Wie von Geisterhand bewegt sich plötzlich das Sperrwerk , schließt sich und ich darf passieren.



In "Glückstadt" mache ich ziemlich spät Frühstück. Dann geht es wieder in den Wind.
Man kennt im Allgemeinen diese typischen Nordseebilder von grasendem Schafs - und Ziegenvieh,vor, auf und hinter dem Deich. Idylle pur - wenn die Sonne scheint. Seit heute Morgen sehe ich eigentlich nichts anderes, natürlich fehlt die Sonne ! Zu dem kräftigen Gegenwind kommt eine vom Schafskot völlig zugedreckte Straße. Der Regen hat alles wunderbar aufgeweicht und mein weißes Rad sieht dementsprechend aus. Mich schützen Regensachen und Schuhüberzieher, aber alles ist eine einzige Sauerei !!!



Auf der Deichkrone ist jetzt überhaupt kein Vorankommen mehr, ich wechsele deshalb auf die B431, die ein guter Radweg ziert. Meinen kranken Arm spüre ich wieder deutlich.
12:30 Uhr ---- BRUNSBÜTTEL ---- endlich !!!!





Jetzt wird alles gut, Elberadweg ade ! Bis zur Rente sehen wir uns nicht wieder und dann, dann befahre ich dich in die andere Richtung, aber mit Rückenwind, den bist du mir schuldig !!!
An all die vielen Elberadler, die, vom Rückwind getragen, rollend, mir ins Gesicht grinsend entgegen kamen: " Ihr seid alles Weicheier - aber grüßt Dresden von mir !"

Die Freude ist grenzenlos, ich fühle mich als kleiner König ! An der Fähre die über den Nord-Ostsee Kanal fährt, biege ich links ab und fahre an die mittlerweile kilometerbreite Elbe.
Im festen Glauben sie hier zu finden, suche ich die Kugelbake, die als offizielle Stelle für die Elbmündung in die Nordsee gilt. Als selbsternannter "König der Welt" sind dumme Fragen zwar erlaubt, doch wer kennt meinen derzeitigen Titel schon ! Und es ist gut, dass ich niemanden frage - denn natürlich gibts die Bake nur in Cuxhafen, das liegt etliche Kilometer nördlich und auf der anderen Seite. Sicherlich könnte ich jetzt mit dem Schiff ... Aber nein, momentan bin ich glücklich mit meinem jetzigen Ziel und als Würdenträger ernenne ich den Einlauf des Nord-Ostsee Kanals in die Elbe zugleich als Mündung in die Nordsee. : - )
Ein Pott nach dem anderen pasiert den kleinen Leuchtturm an dem ich gerade stehe. Heftige Regenschauer haben eingesetzt, spülen den Dreck von mir und meinem Rad, kräftiger Sturm peitscht mir Wasser ins Gesicht. Noch einmal schreie ich alles heraus, Frust und Glück zugleich ...

 
Ein Telefonat nach Hause und ein paar Müsliriegel reingeschoben, dann gehts mit der Fähre auf die Nordseite des Kanals. "Kudensee" ist die nächste Stelle zum Übersetzen und ich wechsele wieder auf die Südseite. So richtig ist es nicht zu begreifen, doch ich zahle bei sämtlichen Überfahrten keinen Cent !



Der Radweg ist auf meiner jetzigen Seite durchgängig bis Rendsburg zu befahren und führt direkt am Wasser entlang. Nur einmal habe ich eine kleine Umleitung ins Landesinnere. Gigantische Brücken und ab und an einer dieser riesenhaften Tanker.



Der Himmel ist bedeckt und natürlich wäre Sonne besser, doch ich will nicht klagen, denn jetzt kommt der Wind voll von hinten ! Ohne große Anstrengung erreiche ich locker einen 30er Schnitt. Mit meiner Reisekutsche keine Selbstverständlichkeit. Es ist ein absolut geiles Gefühl so dahinzufliegen !



Irgendwann steht ein Hinweisschild, bis Rendsburg noch 30 Kilometer. Erstaunlich immer wieder, wie man sich mit der Distanz auf Karten täuschen kann, denn ich hatte nicht gedacht, dass Rendsburg schon so nahe ist.
Die Uhr steht bei 15 Uhr und natürlich reiße ich das noch herunter, das ist klar !
1 oder 2 Kilometer vor mir fährt ein großes Frachtschiff im Kanal. Ein lohnendes Ziel für ein Wettrennen. Doch das Ding ist wahnsinnig schnell und immer wenn ich es fast habe, kommt wie zum Hohn eine Dusche von oben und zwar so heftig, dass ich mich unterstellen muss.




Um so näher ich Rendsburg komme, desto kräftiger werden die Schauer. Nach mehrmaligem Unterstellen empfängt mich nach 16 Uhr die Stadt. Das Navi lotst mich zunächst an eine Tankstelle, wo ich das, durch die Schafsscheiße und die Wetterunbilden total verkeimte Rad abspritze. Auch die Quartiersuche ist nicht schwer. Für 50,- € checke ich kurze Zeit später im "Hotel Rendsburg" ein. Auf der Fahrt dahin werde ich an meine Weltfremdheit erinnert und mir bleibt erst einmal der Mund offen stehen. He firlie, du altes Landei, da führt dich das Navi an den Kanal und du stehst plötzlich vor einem Häuschen mit Schiebetür. Was soll das sein - was ist hier zu tun ? Bevor ich mein Hirn anstrengen muss kommt Hilfe. Ein, in seinen Feierabend radelnder Arbeiter erklärt mir grinsend, dass unter dem Kanal eine Röhre hindurchgeht, die durch diesen, vor uns liegenden Fahrstuhl zu erreichen ist. Alles klar soweit ?




Halleluja - was es alles gibt, es ist einfach irre !
Mit dem "Hotel Rendsburg" ist mir erneut ein Glücksgriff gelungen. Prädikat empfehlenswert !



Als ich mich nach dem Einchecken auf den Weg zu einem Supermarkt mache muss ich um einen großen Backsteinbau, der an eine Schule oder ein Krankenhaus erinnert. Leckerer Essensgeruch weht mir hier um die Nase. An alles hätte ich gedacht, doch nicht an ein gut besuchtes Restaurant im unteren Teil dieses Riesenkomplexes.
Nach dem Sturm, dem Regen und der Schafschei... vom Vormittag scheint der Tag ein versöhnliches Ende zu nehmen. Letztlich habe ich mehr geschafft, als geplant. He ! - ich bin in Rendsburg !!! Daran war heute Morgen überhaupt nicht zu denken. Jetzt sitze ich hier im Souterrain, die Kellnerinnen kriegen sich vor Freundlichkeit nicht ein und mein Essen schmeckt super. Einzig das Wetter ist noch mies, doch irgendwie umschmeichelt mich so ein Gefühl auf eine halbwegs schöne Zeit in Kiel und Flensburg ...
 
Zuletzt bearbeitet:
Freitag, 31.7.2015 / 6. Tag
Rendsburg - Kiel - Eckernförde
145Kilometer




" Lass es vorbei sein ! "
Steht als Opener in meinem Tagebuch. Wieder mal. Gesundheitlich streiken: rechter Arm und linkes Knie. Der Weg von Hamburg nach Brunsbüttel gestern war die Hölle, das wird mir erst heute so richtig bewusst und die Quittung gibts jetzt dafür !
Als ich mich nach 7 Uhr aufs Rad setze, merke ich das Knie sofort. Vollbelastung unmöglich. Es sind nur 12°C. Zunächst versuche ichs mit Knielingen, um die Problemezone warm zu halten. Das fruchtet nicht. Dann fällt mir ein den Sattel höher zu stellen, vielleicht ist dieser gar ausgesessen, vielleicht auch deshalb das Knarzen und Knirschen !? Ich packe also mein kleines Satteltäschlein aus und hole mein "Wundertool" hervor. 2000 Funktionen oder so, im Netz und Katalog prämiert, empfohlen und gepriesen. Bisher hatte ich es noch nie gebraucht und nun suche ich, klappe die einzelnen Werkzeuge hoch, suche ... nichts ! - kein 5er Imbusschlüssel dran. Mann ! Das darf doch nicht wahr sein! Wer erfindet solches Zeug. Wieder einmal koche ich vor Wut !
Über den Rendsburger Markt bin ich heute Morgen runter an den Kanal, auf den offiziellen Radweg gefahren, habe dabei neue Fernziele entdeckt;




und über meine Tour sinniert.



Der Weg ist komprimierter Naturbelag und führt durch mittelhohes Gehölz. Bedeckter Himmel, später lockert es auf. Dann hat mich der Kanalweg wieder. 3...4 dicke Pötte kommen gleich auf einmal hintereinander. Für mich ein Schauspiel, das sieht ein Sachse nicht alle Tage.
Wind von hinten, Gott sei Dank ! Einmal muss ich wegen eines Verfahrers zurück und damit in den Wind, Man oh Man, bin ich froh, dass mir das heute erspart bleibt. Ich mache also gute Fahrt. Unweit vor Kiel muss ich kurz ins Landesinnere, einen Weg am Wasser gibt es hier nicht. Dann wieder zwei dieser imposanten Brücken ...



Geplant war, in Kiel die Fähre über den Nord-Ostsee Kanal zu nehmen, um so in die Innenstadt zu gelangen. Nun stehe ich an der Fährstation und lese den Hinweis an alle Radler, doch lieber den Umweg über die hohe Brücke zu nutzen und so einen unvergesslichen Blick auf den Kanal und dessen Mündung in die Kieler Bucht, ergo, in die Ostsee zu werfen. Der Himmel schmückt sich mittlerweile mit einem herrlichen Blau und so befolge ich den Hinweis und "nutze" den Radweg über die "Hochbrücke". Leider erwische ich die falsche Auffahrt und kann nur in die westliche Richtung schauen, sehe also die eigentliche Mündung nicht. Das tut dem ganzen aber keinen Abzug, denn was ich zu sehen bekomme, ist einfach sagenhaft. Das sind die Bilder die ich mir vorgestellt hatte !



Wenn die Zeit reichen würde und noch nicht alle Körner verschossen ... dann !
"Dann" ist nun eingetreten. Zeit habe ich wohl, die Körner fehlen allerdings. Aber ich breche es übers Knie und das im wahrsten Sinne. Mein linkes, sorgenmachendes Knie wird durch diese Aktion nicht besser. Auch mein physischer Gesamtzustand kommt erneut an die absolute Grenze. Das merke ich, wie fast immer, erst richtig am Abend, wenn der Druck nachlässt und die Euphorie verflogen ist. Doch ich bin schon auf dem Wege durch ein absolut hektisches Kiel. Mein Navi führt mich voll durch die Innenstadt. Menschen, Verkehr - Abbremsen, Anhalten, wieder Fahrt aufnehmen. Eine einzige, stressige Odysee erlebe ich hier. Der einzige Grund für diesen ganzen Wahnsinn liegt auf der anderen Seite der Bucht in Laboe und heißt "Das Boot" !!!

An der Ostseite der Bucht wird es dann etwas ruhiger. Nach "Heikendorf" führt der Weg sogar dicht am Wasser entlang, das baut mich sofort wieder auf, das ist Balsam für Körper und Seele !

 
Dann liegt es da, "Das Boot", aufgebahrt am Strand. Mordmaschine gegen 1000de Feinde im letzten deutschen Krieg und zigfaches Grab für die eigene Mannschaft !
Trotz der Menschenmassen, die sich hier im Urlauberdorf "Laboe" die Straße entlangwälzen, entschließe ich mich, das Rad mit den Taschen am Zaun anzuschließen und in meiner Radfahrerkluft (mit den Pedalplatten an den Schuhen! ) eine Innenbesichtigung zu wagen.
Das was "Buchheim" in seinem Roman in Weltklasse-Stil schildert, stürzt hier bildlich auf einen ein. Ich bin schockiert ob dieser Enge, schüttle immer wieder ungläubig den Kopf über diese vielen Rohre, Kabelzüge, Handräder und Armaturen. Hier ist jeder Quadratzentimeter zugebaut, jedes Teil hat irgendeine wichtige Bedeutung. Wer verdammt, hat diese Technik erdacht, so erdacht, dass bei einem Defekt, bei einem Anschuss der Kasten in vielen Fällen wieder flott zu kriegen war, nicht etwa im Dock, sondern während Feindbeschusses, viele Meter unter der Meeresoberfläche ! Dann die Unterbringung und Versorgung der Mannschaft über Wochen, die winzige Kochstelle, das kleine Latrinchen für über 40 Seeleute ...
Ich weiß, dass es nachweislich so gewesen ist, doch gerade jetzt, da ich alles im Original sehe, alles anfassen kann, kann ich es nicht glauben ... es ist unfassbar !




Zurück in die Hektik von Kiel geht es auf dem Wege den ich kam. Eigentlich sollte es mit einem der Schiffe (Fähren gibt es wohl nicht ) ans gegenüberliegende Ufer gehen, doch diese verkehren nur alle Jubelstunden einmal - Schade !
Der Plan ist nun, außerhalb von Kiel eine Unterkunft zu finden. "Gettdorf" ist die nächste größere Stadt und liegt sozusagen auf der Strecke.
Und als dann Kiel hinter mir liegt, liegt flaches Land vor mir, getrennt nur durch den Kanal und der Brücke, die darüber führt. Hier oben erhasche ich noch einmal einen wunderbaren Blick ins Landesinnere. Da rechts, diesen Weg bin ich heute Morgen entlanggefahren. Ein bisschen Wehmut kommt auf ...




Die bekannten Schmerzen quälen mich nun wieder und angesichts der nicht endenden B76 verliere ich jegliche Lust am Fahren. "Gettdorf" setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Freitagshektik auch hier, ein paar Geschäfte nur, ein Hotel - und das sieht weder offen noch einladend aus. Mein Bauchgefühl sagt konsequent NEIN - hier nicht ! Innere Unruhe macht sich breit.
Firlie ! - du musst noch eine Unterkunft finden !
"Eckernförde" ist der Ort, wo das möglich ist. Eckernförde ist noch weit, du kurz vorm Abklappen.
Eckernförde ist Urlauberdorf, es ist Wochenende, es ist Hochsaison - wirst Du dort unterkommen ???





Ich sitze im "Lucifer", einem großen Lokal in Eckernförde, habe Tomatensuppe und Brathering bestellt, mein Bierchen schmeckt mir schon !
Wenn ich aus dem Fenster schaue, lacht die Sonne. Ich sehe blauen Himmel und jede Menge "Jack Sparrows", denn hier tobt gerade ein Seeräuberfest. Wären die gesundheitlichen Probleme nicht, ginge es mir so gut wie nie. Ein Zimmer habe ich nach dem 2ten Versuch im Stadthotel gefunden, wenn auch für viel Geld. Aber egal, die Kasse ist noch gut gefüllt und morgen ist der letzte Tag.




Diese 130 Kilometer heute, haben meinen Körper an die Grenze gebracht. Mit Elan war ich vor 6 Tagen in die Vollen gegangen und das 15 Stunden nach Arbeitsschluss. Mit flachem Land hatte ich gerechnet, einen eventuellen heftigen Gegenwind völlig ausgeschlossen. So etwas hätte, kann aber eigentlich nicht gut gehen. Ohne Selbstmitleid gestehe ich mir Selbstüberschätzung ein. Ich bin diese Distanzen über Tage einfach nicht gewöhnt.
Mein Rad neben mir herschiebend, flaniere ich Richtung Hotel. Der Abend ist wunderschön. Urlaubsfeeling kommt auf.
Morgen noch einmal geschätzte 100 Kilometer. Die werde ich schon schaffen !!!

 
Samstag, 1.08.2015 / 7. Tag
Eckernförde - Flensburg
90 Kilometer





Das wird ein herrlicher Tag !
Angesichts dessen, was mich gegen 7 Uhr vor dem Hotel erwartet, kann es gar nicht anders sein. Zumindestens was das Wetter anbelangt. Es sind nur 10°C, aber die Sonne gibt schon alles. An der Uferpromenade geht es verbotenerweise bis vor zum Hafen. Radfahren ist hier eigentlich verboten, außer 2 Joggern ist aber noch keine Menschenseele zu sehen und da darf man das schon mal. Menschenleer auch der Rummelplatz der Seeräuber, alles schläft noch !




An der leichten Steigung vom Strand hinauf merke ich es sofort, das linke Knie und damit das Bein, kann ich nicht belasten. Aber damit hatte ich schon gerechnet und muss jetzt halt das Beste daraus machen !
Hügelig geht es durchs Land und es rollt gut. Zunächst überhaupt kein Wind und dann leicht von hinten. Vielleicht haben die Götter ein Einsehen mit mir.



Das, was ich gestern und heute hier zu sehen bekomme, ist wunderschönes Land, hier bräuchte man definitiv mehr Zeit für Erkundungen, schönes Wetter vorausgesetzt.
Bei "Damp" hatte ich eine Abkürzung über die B203 in den Track gezeichnet, aber Pustekuchen, das wird nichts. Die Bundesstraße ist hier für Radfahrer gesperrt. Na wenigstens kenne ich jetzt die Bedeutung der quer-rotgestrichelten Linie auf den ADFC Karten. Gegen 10 Uhr fahre ich in "Kappeln an der Schlei" ein und hole bei Lidl das übliche RadfahrerFrühstück. He firlie ! - das ist das letzte auf dieser Reise, ist dir das bewusst ? Nein, das schreibe ich jetzt nur so, gedacht habe ich daran wohl nicht.
Im nahen Mercedes-Auto-Haus wird auch am Samstag gearbeitet. Dort borge ich mir einen 5er Imbusschlüssel und justiere meinen viel zu tiefen Sattel nach oben. Bei der Rückgabe merke ich, der Verborger ist mit großem Misstrauen beseelt, hat hinterm Auto geäugt, bereit zu einem schnellen Sprint, falls der Radfahrer sich mit dem Schlüssel einfach aufs Radl schwingt und davonfährt...
Das Gefühl, der Sattel war die ganze Fahrt zu tief gestellt, stellt sich sofort ein. Natürlich schiebe ich die Probleme an Arm und Knie auf diese Falschstellung, doch leider gehen die Schmerzen davon nicht gleich weg ...
Mein Frühstück genieße ich unten an der Schlei. Und ich genieße es wirklich! Hier vor der Zugbrücke, auf einem grasbewachsenen Halbrund mit Sicht Richtung Innenstadt und den historischen Heringszaun gibt es 2 Bänke, nur für mich allein. Es ist Traumwetter und das lässt alle Sorgen vergessen. Später dann geht die Zugbrücke nach oben. Eine ganze Armada von kleinen und mittleren Segelschiffen fährt der Ostsee entgegen. Es ist einfach nur herrlich anzuschauen und ich kann das viele BilderGlück gar nicht fassen !



Ursprünglich wollte ich den original Ostseeradweg, der immer wieder Abstecher in Dörfer und an die See macht, bis Flensburg fahren. Mit meinem Handicap ist dieser ZickZack Kurs allerdings nicht das Optimale und außerdem möchte ich so schnell wie möglich ans Ziel. Der Radweg an der B199 ist daher 1.Wahl. Hinter "Getting" mache ich allerdings eine Ausnahme und fahre hinunter ans Meer. Landschaftlich ist das hier ein Bildertraum in Ansichtskartenformat, der Radweg allerdings ein Trail und der macht mich nur langsam, ganz zu schweigen von den Urlaubsradlern die vor mir herschleichen !





Schnell bin ich deshalb wieder an der B199.




Vor "Glücksburg" jede Menge Rennradler, sogar mit Zeitfahrlenker. Das Rätzel ist schnell gelöst. An jeder Straßenkreuzung hängen Richtungspfeile für den "Ostseemann", ein Radrennen, das morgen hier startet.
Was bisher leicht wellig durchs Land verlief, artet jetzt in kleinen Steigungen aus. Normalerweise kein Problem für mich, doch "mit nur einem Bein" schier unmöglich. Zudem meldet sich auch noch mein Arm und gibt mir zu verstehen,
"Alter, jetzt ist es genug !".
 
Die letzten Kilometer bis Flensburg sind dann nur noch ein Quälen, das nur kurzzeitig durch einen Augenaufreißer in Form eines "Fördeblickes" unterbrochen wird.



Flensburg - 13 Uhr, ich habs geschafft !!!
1060 Kilometer stehen auf dem Tacho, gefahren in 7 Tagen. Der absolute Wahnsinn für mich !

 
Von denjenigen, die ich in mein diesjähriges Ziel eingeweiht hatte, kam immer gleich die Frage: "Fährste auch am Punktehaus vorbei ? "
Tja, wo ist es eigentlich, das "Kraftfahr-Bundesamt" ? Bis jetzt hatte ich keinerlei Peilung, auch nicht vom Aussehen - doch nun stehe ich direkt davor.
Eine Zufahrtstraße führt zum hinteren Eingang. Es ist Samstag, das Pförtnerhäuschen besetzt. Beim netten Herrn darin erkundige ich mich sogleich, und ja, "...das ist das Gebäude".
Nach einem kleinen Plausch noch ein Bild von vorn, speziell für alle Bekannten, Verwandten und Kumpels, die hier eine Akte mit Punkten deponiert haben.




Die Unterkunft für die letzte Nacht war, genau wie im letzten Jahr, vorgebucht. Warum eigentlich ? Ein Missgriff reichte wahrscheinlich nicht ! Zwar ist hier alles sauber und riecht gut, doch Einrichtung, TV Bild und das Frühstück am nächsten Tag, sind alles andere als begeisternd. Dazu kommt die stark befahrene Straße direkt vorm Hotel. An Schlafen mit offenem Fenster ist hier nicht zu denken !





Nach dem Hübschmachen flaniere ich über "Holm" und "Große Straße". Hier tobt der Bär, doch es ist herrlich. Mein Essen in der "Alten Senfmühle" dämpft die Glückseligkeit für eine halbe Stunde, denn was mir hier vorgesetzt wird, ist nüscht Besonderes !!!



Zum Tagesausklang gibt es noch ein Bierchen auf dem Hotelzimmer. Heimweh war mir all die Tage fremd, doch jetzt meldet es sich ordentlich. Der morgige Tag besteht zum großen Teil aus Zugfahrt und in Hamburg sind 3 Stunden Warterei für die Weiterfahrt fällig. Das zieht mich ganz schön runter - doch es hilft alles nichts, da muss ich durch.
Bei total verrauschtem TV-Bild zische ich mein "Flensburger" und schlafe darüber ein ...
 
Sonntag, 2.August
Heimfahrt


7 Tage waren schnell vorbei - klar, wenn man einem täglichen Ziel entgegenfährt ! Was habe ich geflucht über diesen höllischen Wind, gelitten wegen Schmerz in Knie und Arm, doch schon jetzt scheint alles halb so schlimm. Gut, dass man Negatives schnell in die hinterste Schublade verbannen kann !
600 Fotos sind auf dem Chip. Beim Bearbeiten und Ausarbeiten für den Reisebericht läuft alles noch mal Retoure. Ohne Kamera und tägliches Tagebuch wäre die Hälfte schon nicht mehr in der Erinnerung vorhanden. Ein Hoch deshalb auf Aufgeschriebenes, mitgenommene Flyer, Rechnungen und geknipste Bilder.


Geschlafen habe ich übrigens gut, natürlich mit geschlossenem Fenster. Jetzt steht ein großes Frühstücksbufett vor mir, wie auf der Hotelpage versprochen. Als einer der ersten habe ich die Qual der Wahl, stelle aber sofort fest, das aufgeschnittene Obst und das Gemüse sind nicht frisch. Die Bedienung ist ständig am Arrangieren der Frühstückstafel, obwohl nur 3 Gäste im Raum sind und die Tafel wirklich gut gefüllt ist. Auch blickt sie ständig zu mir herüber, kommt dann schließlich an meinen Tisch und fragt:
" Ihre Zimmernummer einmal biddeee ...! " HALLO ? - sehe ich aus wie ein Strauchdieb, der sich ins Hotel schleicht und diebisch Essen abfasst ?
Gegen halb 9 verabschiede ich mich. Es hat nichts mit Schlechtmacherei zu tun, doch für 85,-€ stelle ich hier keine Empfehlung aus, da hatte ich die letzten Tage wesentlich Besseres.
Die 3 Stunden bis zur Zugabfahrt verbringe ich ähnlich dem gestrigen Abend, fahre zunächst die Straße durch die Altstadt und beobachte anschließend das Treiben am Hafen. Buden werden hier errichtet, Menschen kommen. Nach und nach entsteht ein richtiges Getümmel. Sehr fraglich sind für mich die Fisch - und Käsebuden, in die die immer höher steigende Sonne voll hineinstrahlt.
Schweren Herzens nehme ich Abschied von dieser wunderschönen Altstadt und dem Hafen. Mehr habe ich leider nicht gesehen, doch ich komme wieder, irgendwann ...




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Die Heimfahrt verläuft problemlos - für mich ! Anderen ergeht es nicht so gut. Hat der Zugführer in Rendsburg doch tatsächlich einen Radfahrer und die Schaffnerin stehen lassen !
Abenteuer Deutsche Bahn !
Ich sehe den jungen Mann mit vollgepacktem Rad am haltenden Zug vorbeilaufen, denke noch, auch so einer, der das halbe Haus mitschleppt. Wenig später setzt der Zug sich in Bewegung, wird schneller. Neben meinem Fenster taucht, uns hinterherrennend und schreiend , erneut der junge Mann auf, 2 Gepäckstücke in den Händen. Sein Rad und das übrige Gepäck sind im Zug, er bleibt zurück. 3 oder 4 völlig aufgelöste Mitreisende kommen wenig später zu uns ins Abteil und natürlich ist dieser "Vorfall" das Thema. Es stellt sich heraus, die völlig überforderte und schon am Reisebeginn angenervte Schaffnerin hat fälschlicherweise das Abfahrtsignal zu früh gegeben. Anscheinend hatte sie dem Radfahrer noch beim Einladen geholfen, doch nun steht auch sie "vergessen" auf dem Bahnsteig. Wir Reisenden sind uns unschlüssig über die Schuld dieser Ungeheuerlichkeit. Hätte der Zugführer nicht die offene Tür bemerken müssen ???
Mein Abteil ist zu einem Drittel gefüllt, neben mir sind noch 2 Plätze frei. Es ist die erste lange Bahnfahrt seit über 20 Jahren für mich und sozusagen ein kleines Abenteuer.


In Rendsburg hatte ich beim Blick aus dem Zugfenster übrigens sofort die Stelle wiedererkannt, an der ich vor 2 Tagen über meine Reise sinniert habe:





Bei Planungsbeginn hatte ich zunächst einen Fernbus favorisiert, doch leider war dort eine Buchung nur 3 Wochen vorher möglich. Ob Fahrräder mitgenommen werden dürfen, war fraglich. In Dresden, im Reisecenter, war mir dann überraschenderweise recht schnell und mit guter Beratung eine Fahrkarte für die Bahn verkauft worden.

15 Uhr, Hamburger Bahnhof.

Menschen, Massen - Menschenmassen. Pro m2 geschätzte 100 Leute. Ströme von und zu den Ausgängen. Vor den Fressbuden Strudelbildung. 3einhalb Stunden Aufenthalt für mich, also erst mal raus hier !
Um den Bahnhof ist die Welt zu Hause, Menschen aller Couleur . Die vielen Lokale und Geschäfte tragen zum großen Teil undeutsche Namen. Das fällt mir sofort auf, das trage ich als Erinnerung auch jetzt mit mir herum ... und dann der viele Dreck, mein Gott, was für Müll um den Bahnhof herum liegt !!!
Auf meinem Stadtplan sind viele kleine Bildchen von Sehenswürdigkeiten und vielversprechende Namen zu sehen. Richtig wäre eine Stadtrundfahrt, doch dafür ist die Zeit zu knapp und wo sollte ich mit dem Rad hin ?! Der Screenshot des Navis zeigt später einen Kringel über dem anderen, mal näher, mal ferner um den Bahnhof herum. Gegen 17 Uhr hole ich mir ein großes Nudel/Gemüse Fresspaket, platziere mich abseits auf einem der wenigen grünen Flecken und esse - ohne viel Appetit !
Den langen Aufenthalt habe ich einem mehrmaligen Umsteigen vorgezogen, nun muss ich damit klarkommen !
Doch dann ist es ganz schnell soweit, der Zug fährt ein, ich steige ein, hänge mein Rad ein.




Mit 20 Minuten Verspätung geht es in die Vollen. Stellenweise sind es wohl an die 180 Stundenkilometer, die der IC dahindonnert. Mit zunehmender Dunkelheit, wir sind da schon hinter Berlin, wird der Zug langsamer. Eine Zeit lang stehen wir sogar in der Gegend herum. Trotz allem sind wir pünktlich in Dresden, überpünktlich sogar und ich schaffe den Anschluss in mein Heimatdörfchen spielend !
Gegen Mitternacht steht mein treuer "Travel Steve" im Stall,
auf dem Tacho ist die Endsumme von 1090 Kilometern zu lesen ....
 
Zuletzt bearbeitet:
So, das war meine diesjährige RadFernReise.
Ideen für das nächste Jahr gibt es wohl, doch werden sich künftige RadReisen wesentlich entspannter gestalten.
Ein eigener Handwerksbetrieb, Familie, Haus und mein biblisches Alter lassen nicht mehr zu, dass ich wie eine junge Gazelle durch die Prärie springe.
Das hat nichts mit Jammerei zu tun, nein, ich habs letztes und dieses Jahr deutlich an den Signalen meines Körpers gemerkt, also ziehe ich den Schluss, maximale 120 Tageskilometer !

In der Hoffnung, einigen bisschen Inspiration gegeben zu haben, verabschiede ich mich:

Grüße und allzeit Luft auf der Kette
-firlie-
 
Klasse Bericht, beeindruckende Fotos, firlie! Und Respekt für's Durchziehen. Hoffe, es hat sich nachher alles wieder eingerenkt...
Im "Alter" wird die Vorbereitung immer wichtiger, insbesondere die "Körperliche". Also schau mal, daß Du bis zum nächsten Jahr öfters auf's Rad kommst, damit Du Dich dann nicht wieder quälen mußt und Deine Abenteuer auch genießen kannst. Hoffe, daß die schönen Erinnerungen auch bleiben.

Danke für's Teilen und Grüße in die Heimat,
wünscht der Rollerer aka CC.
;)
 
Schöner Bericht, tolle Bilder! :daumen:
Ich für mich ziehe Standort-Radreisen vor. Da ist die Wind- und Wetterproblematik deutlich entschärft. Aber Hochachtung vor deinem Durchhaltevermögen trotz Schmerz. :cool:
 
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