Naja, ich arbeite viel mit alten Menschen. Die magern halt oft ab, wenns auf das Ende zugeht. Wenn dann noch etwas Masse zum Zehren da ist, ist das oft gut.
Diese Hypothese habe ich oft gelesen, aber ich bin noch nicht restlos überzeugt. Wenn fehlende Körpermasse das Überleben begrenzt, dann ist es eher nicht das fehlende Fett, das zum Tod beiträgt, sondern das fehlende... alles andere halt
Man könnte argumentieren, dass Übergewichtige mehr Muskulatur und mehr Organmasse (Leber, Darm etc. ist alles durch die erhöhte Beanspruchung vergrößert) haben, oder dass Fettsäurenverfügbarkeit den Abbau der Proteinreserve verlangsamt. Alles gute Punkte. Aber ich will was sehen, das mir belegt, dass es eine ursächliche Folge des Übergewichts ist, die das Überleben verlängert. Die Daten, die ich gesehen habe, zeigen den Umkehrschluss, also dass Patientengruppen, die durchschnittlich länger leben, durchschnittlich mehr Körpergewicht (bei unbekannter Körperzusammensetzung) haben. Und das auch nur, wenn man der Statistik auch glaubt, d.h. wenn man nicht annimmt, dass dieses Ergebnis eine statistische Verzerrung ist und die eigentliche Realität eine andere ist.
Eine andere Frage ist, ob ich mit einem metastasierten Tumor oder Sepsis überhaupt meine Lebensdauer noch verlängern will. Die Zeit, die man da gewinnt, ist wohl mehrheitlich auf der Intensivstation verbracht. Ich will mit 70 höchstens BMI=19 haben, um für genau diesen Fall vorzusorgen
Furchtbarer Artikel. Die Zitate sind allesamt so blöd, das können Professoren unmöglich so gessagt haben, das muss der Journalist sich so zusammengekürzt haben!
Man kann lange darüber diskutieren, wie solche Ergebnisse zustandekommen. Man kann sie nämlich gut wegdiskutieren, wenn man will. Bei Hypothesen wie "Übergwicht, Alkohol, wenig Sport = gesund" verweise ich aber weniger auf die eigentlichen Ergebnisse von Studien, sondern auf die a-priori-Wahrscheinlichkeit der Hypothese.
In einer tollen Interpretation der Statistik (wir Erinnern uns, Statistik ist die Wissenschaft vom richtigen Umgang mit unübersichtlichen, ungleichförmigen, unzuverlässigen und unvollständigen Daten/Messwerten) geht man von zwei Wahrscheinlichkeiten aus, der a-priori-Wahrscheinlichkeit (=Vortestwahrscheinlichkeit, auf Englisch kurz der "prior") und der a-posteriori-Wahrscheinlichkeit (=Nachtestwahrscheinlichkeit, "posterior"). Der prior ist die Wahrscheinlichkeit, die ich einer noch nicht experimentell getesteten Hypothese zuschreibe, nachdem ich alles, was ich über das Universum wissenschaftlich weiß, erwogen habe. Der posterior ist die Wahrscheinlichkeit, auf die mein prior durch Prüfung im Experiment angehoben oder abgesenkt wird. Der posterior hängt also vom prior und von der Zuverlässigkeit meines Experiments ab.
Extravagante Hypothesen haben eine sehr niedrige Vortestwahrscheinlichkeit, weil es entweder nichts gibt, was sie stützt, weil es viele bestehende Studienergebnisse gibt, die diesen Hypothesen widersprechen oder weil sie eigentlich mit dem wissenschaftlichen Weltbild inkompatibel sind (so wie Homeopathie oder Akupunktur).
Hier ist der Kicker:
Die Differenz zwischen zwei Wahrscheinlichkeiten ist die Menge an Information = Studienergebnissen, die ich brauche, um von einer zur anderen Wahrscheinlichkeit zu kommen. Das klingt alles sehr subjektiv, aber es gibt mathematische Regeln dafür.
Man sollte demnach jede Studie im Lichte der a-priori-Wahrscheinlichkeit ihrer Hypothese interpretieren. Ist der prior niedrig, brauche ich mehr und bessere Studien, um auf einen hohen posterior zu kommen. Es reicht nicht, dass die Studien positiv sind, sie müssen so positiv sein, dass sie den niedrigen prior ausgleichen. Kurz:
Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Belege. Aus diesem Grund glaube ich z.B. nicht an die Wirksamkeit von Akupunktur, obwohl die Studienlage bzgl. mancher Indikationen wie Rückenschmerz leicht positiv ist. Der prior, den ich Akupunktur gebe, ist so niedrig, dass ich zusätzlich noch 50 gute und sehr positive Studien bräuchte, um auf einen posterior von gerademal 50% zu kommen. Leute die alles glauben, was die Studien behaupten, geben allem im Universum dieselbe a-priori-Wahrscheinlichkeit - ich nenne das statistische Blindheit.
Vielleicht hilft diese Denkweise ja dem einen oder anderen bei der Interpretation von Studienergebnissen im Allgemeinen.