Okay, denn wollen wir mal. Ich denke, die grundlegendste Erkenntnis ist erstmal, daß die Federungseigenschaften des Luftpolsters nur geringe direkte Bedeutung für den Komfort haben. Ein
Reifen funktioniert eher ähnlich wie Laufketten oder spezielle Federungssysteme verschiedener Autos (verbundene Vorder- und Hinterradfederung bei der Ente, rechts und links verbunden bei Citroens Hydropneumatik, diagonal verbunden bei der britischen Hydrolastic): Die Einfederbewegung sorgt andernorts für eine Ausfederbewegung und minimiert dadurch die Fahrzeugbewegung.
Bei den Autos funktioniert das quasi wie eine Wippe, die Fahrzeugbewegung wird damit theoretisch halbiert. Beim
Reifen wird die Bewegung u.U. noch weiter reduziert: Die übrige Bewegung, die dann übers Luftpolster auf das Rad weitergegeben wird entspricht leicht vereinfacht dem Quotienten aus der Fläche der Unebenheit auf der der
Reifen steht und der gesamten Reifenaufstandsfläche.
Da die Reifenaufstandsfläche ungefähr eine Ellipse ist und viele Unebenheiten breiter sind, als die Ellipse, kommt es also in erster Linie auf die Länge der Aufstandsfläche an - aber gleichzeitig auch auf den übrigbleibenden Federweg. Eine schön lange Aufstandsfläche nutzt nichts, wenn jeder Kiesel bis zur Felge durchschlägt. Hier sind also breite
Reifen deutlich im Vorteil, zumal bei ihnen auch die Breite der Ellipse wächst und die Aufstandsfläche entsprechend noch größer.
Ich habe mir dann erstmal überlegt, daß eine Berechnung der Aufstandsfläche in Abhängigkeit von der Einfedertiefe interessant wäre. Definieren wir also erstmal:
BR= Reifenbreite (real auf der Felge gemessen
)
r= halber Felgenaußendurchmesser (Radius eben)
E= Einfederweg
A= Aufstandsfläche
l= Länge der Aufstandsfläche
b= Breite der Aufstandsfläche
Alle Formeln, die ich hier zeige, kann man zur einfachen Visualisierung prinzipiell so z.B. in Wolfram Alpha kopieren, sollte aber Beispielwerte einsetzen. Viel Spaß beim Spielen!
A=pi*l/2*b/2 (Fläche einer Ellipse)
l ist noch relativ einfach über Pythagoras herzuleiten:
l=sqrt((r+BR)^2-(r+BR-E)^2)
b ist komplexer. Ich habe mir den Reifenquerschnitt erstmal als Kreis vorgestellt. Wenn man gedanklich einen Kreis plattdrückt wird schnell klar, daß b bei einem Durchschlag auf BR*pi/2 anwachsen kann. Die Frage ist, wie man die Zwischenwerte in Abhängigkeit von E bekommt. Als Modell habe ich mir überlegt, eine waagerechte Sekante den Kreis "abschneiden" zu lassen. Die Länge der Sehne
berechnet sich aus dem Winkel vom Kreismittelpunkt aus zu den beiden Enden:
s=2r*sin(alpha)
Der Einfederweg ist die Differenz aus Radius und
Apothema (a). Für letzteres gilt erstmal:
r^2=a^2+(s/2)^2
Die beiden Gleichungen kann man zusammenführen und nach alpha auflösen. Alpha im Bogenmaß mit BR multipliziert ergibt genau den "abgeschnittenen" bzw. bei uns eher plattgedrückten Bogen. Jetzt noch das Apothema durch Radius und Einfedertiefe ersetzen, dabei bedenken, daß auf der Felgenseite des Reifens genauso stark eingefedert wird, also noch den Faktor 0,5 einführen, und man kommt zu sowas:
b=BR*arcsin(2/BR*sqrt(BR^2/4-(BR/2-E/2)^2))
Kurz überlegt: Wenn E=BR (also Durchschlag), dann fällt der zweite Term unter der Wurzel weg, in der Wurzel steht BR^2/4. Radiziert also BR/2. Kürzt sich mit dem Vorfaktor 2/BR zu 1 weg. Arcsin(1) ist pi/2, also ist beim Durchschlag b=BR*pi/2 - passt. Kurz noch etwas zusammengefasst:
b=BR*arcsin(2/BR*sqrt(1/2*BR*E-1/4*E^2))
dann ist also die Aufstandsfläche:
A=pi*sqrt((r+BR)^2-(r+BR-E)^2)/2*BR*arcsin(2/BR*sqrt(BR^2/4-(BR/2-E/2)^2))/2
Nun kann man also wunderbar für eine gegebene Reifenbreite und Einfedertiefe die Aufstandsfläche errechnen, z.B.
plot pi*sqrt((311+30)^2-(311+30-x)^2)/2*30*arcsin(2/30*sqrt(30^2/4-(30/2-x/2)^2))/2 for x=0 to 30
(hier mit x statt E damit wolframalpha damit klarkommt)
für eine Reifenbreite von 30mm auf 622er
Felgen. Der Plot bei Wolframalpha zeigt nahezu eine Gerade, wenn man plot durch derive ersetzt (Ableitung bilden) sieht man jedoch eine leicht ansteigende Steigung.
Die Federkonstante (die für den Komfort nicht so wichtig ist, s.o.) ist proportional zur Aufstandsfläche und zum Druck im
Reifen, aus der Ableitung lässt sich ein Anstieg der Federkonstante durch die Art und Weise der Flächenvergrößerung von 16% (60mm-
Reifen) bis 22% (20mm-
Reifen) von 0 bis zum Durchschlag ablesen, die Federung ist also leicht aber ziemlich unbedeutend progressiv. Die Druckerhöhung durch Volumenverringerung beträgt übrigens beim Durchschlag unter 5%, der große Vorteil der Luftfederung, eine extrem progressive Kennlinie, hat also beim Fahrradreifen keine Bedeutung.
Ganz interessant könnte dann noch sein, wie weit man mit welchem
Reifen bei welchem Druck und welchem Systemgewicht einfedert. Hierzu habe ich die Startwerte der Ableitungen bei E=0 genommen, um eher auf der sicheren Seite zu sein. Hier ergibt sich für 622er Räder:
Reifenbreite [mm] Flächenvergrößerung pro Einfederweg [mm^2/mm] (Startwert der Ableitung)
20 128
30 159
40 186
50 211
60 234,5
Den Bereich 20-60mm hielt ich für's Fahrrad für einigermaßen sinnvoll. Der Bereich ist auch noch annähernd linear, durch eine lineare Regression ergibt sich:
A/E=77,7mm+2,65*BR
Die Federkonstante ist über den Druck mit diesem Quotienten verknüpft:
k[N/mm]=p*A/E=p[Bar]*(7,77mm+0,265*BR[mm])
Daran kann man ablesen, bei welcher Kraft der
Reifen um einen Millimeter einfedert. Über die Erdbeschleunigung ist dann auch abzulesen, welche Last den
Reifen wie weit einfedert (rund Faktor 10, Eselsbrücke: Eine Tafel Schokolade (100g) erzeugt eine Gewichtskraft von 1N).
Das alles sagt natürlich nichts darüber aus, wie leicht ein
Reifen rollt, Karkassenkonstruktion etc. ist ein ganz anderes Thema. Interessant ist vielleicht am Rande noch der Vergleich mit Radialreifen, die es ja nur mal von einem DDR-Tüftler gab, die großen Reifenhersteller haben sich da noch nicht rangetraut. Wenn man dort vom Rechteckprofil ausgeht, vereinfacht sich A zum Rechteck und es gilt b=BR, damit ist:
A=BR*sqrt((r+BR)^2-(r+BR-E)^2)
Für einen 60mm-
Reifen ergibt sich beim Durchschlag die 2,5fache Fläche, der Druck im
Reifen kann entsprechend reduziert werden unter Beibehaltung der Federungseigenschaften. Weniger Druck bedeutet daß eine weniger starke Karkasse nötig ist und damit weniger Walkarbeit. Der große Nachteil ist die stark degressive Federkennlinie (eine modifizierte Wurzelfunktion), aber die ist ja - s.o. - beim Fahrradreifen nur von geringer Bedeutung.
Keine Ahnung, ob ihr damit was anfangen könnt, ich fand es jedenfalls mal ganz interessant darüber nachzudenken.